Die 100 schönsten Romane Platz 2 für die "Blechtrommel" von Günter Grass

Düsseldorf · "Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil und Pflegeanstalt..." - so pathologisch kann Weltliteratur beginnen. Aber auch so eigenartig statisch. Denn was soll und kann sich auf den nachfolgenden 800 Seiten noch ereignen, wenn der Ich-Erzähler unter Verschluss und der Welt damit abhandengekommen ist?

Aber auch das hat uns Günter Grass gezeigt in seinem Jahrhundertroman "Die Blechtrommel", der ein großes Panorama der Geschichte entfaltet und einen Gnom zum Chronisten unserer Zeit macht: Oskar Matzerath, der an seinem dritten Geburtstag einfach beschließt, nicht mehr zu wachsen. Gesagt, getan, Oskarchen bleibt zunächst ein Zwerg mit allen Vorteilen einer überschaubaren Größe.

Denn seine Perspektive auf das fatale Geschehen der Welt - vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bis zu den Aufbaujahren der jungen Bundesrepublik - ist einzigartig. Er hockt unter Tischen und beobachtet dort Heikles, er kriecht unter Tribünen und gibt mit seiner Trommel Nazi-Aufmärschen Jazz-Takte vor.

Oskar ist ein Beobachter am Rande, ist klug, gewitzt und manchmal auch unmoralisch. Solche Figuren sind der Weltliteratur bekannt: Mit Oskar feiert der Schelm seine spektakuläre Wiedergeburt im 20. Jahrhundert.

Die Geburt des Romans ist auf 1958 datiert, und sein Geburtsort ist Großholzleute - eine kleine Ortschaft, in der die Gruppe 47 damals tagte. Auch der 30-jährige Lyriker Grass, schnauzbärtig und aus Danzig gebürtig, darf lesen. Doch diesmal ist es Prosa, ganz wunderbare Prosa, die er vorträgt. Und alle, die ihm zuhörten, sollen sofort das Meisterwerk erkannt haben. Bis auf einen Kritiker aus Polen, der erstmals bei der Gruppe dabei war. Marcel Reich-Ranicki schreibt einen Verriss. Aber auch das spricht für die Einzigartigkeit des Romans, dass der Kritiker sein Urteil drei Jahre später öffentlich revidierte.

"Die Blechtrommel" ist aber auch mit zwei Flüchen belegt. Der eine ist die gefeierte Verfilmung durch Volker Schlöndorff, die uns das Bild des trommelnden Oskar - grandios gespielt von David Bennent - ins Gedächtnis brannte. Aber: Der Film zeigt nur den ersten Teil und spart die ganze Nachkriegsgeschichte aus mit der legendären Begebenheit im sogenannten Zwiebelkeller. Als Vorlage diente ein Lokal in der Düsseldorfer Altstadt, das Grass als Student der Kunstakademie oft besuchte.

Der zweite Fluch ist die Größe des Romans selbst, die für einen Autor zur Belastung werden kann. Das nachfolgende Werk zeigt Höhen und Tiefen; an die "Blechtrommel" reichte kein weiteres Buch heran.

Der Roman ist Weltliteratur und hat Weltliteraten nachhaltig beeinflusst. Autoren wie Gabriel García Márquez, Nadine Gordimer, Salman Rushdie und John Irving berufen sich auf die "Blechtrommel". Millionen von Lesern weltweit haben das Werk geehrt, bevor der im April verstorbene Grass 1999 endlich den Literaturnobelpreis bekam - vier Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung der "Blechtrommel".

Diskutieren Sie unter dem Hashtag #schroeders100 bei Twitter mit dem Autor Lothar Schröder (@daszweitgesicht) und anderen Literaturfans: Welcher Roman gehört unbedingt in die Top100? Welcher wird Ihrer Meinung nach überschätzt?

(los)
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