Warnsignale War Schirrmachers Herzinfarkt vermeidbar?

Frankfurt · Jeden Tag sterben etliche Menschen an den Folgen einer koronaren Herzkrankheit. Die meisten haben Warnsignale ignoriert.

Der "sehr große Geist", wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihren am Herzinfarkt gestorbenen Mitherausgeber Frank Schirrmacher (54) bezeichnete, war ein Mensch wie wir alle und pflegte zudem einen recht ungesunden Lebenswandel.

Glaubt man den Hinweisen seiner Kollegen, die im Gewand von Nachrufen in der FAZ ausgebreitet wurden, dürften mehrere Faktoren zu seinem Tod geführt haben: Rauchen, ungesunde Ernährung, wenig Schlaf, Stress, Übergewicht.

Diesen Schirrmacher-Tod sterben täglich viele Menschen, obwohl sie - wie Schirrmacher auch - möglicherweise hätten gerettet werden können.

Hat Schirrmacher bei den Symptomen, die er in seinen letzten Stunden hatte, zu lang gewartet?

Das könnte sein. Offenbar haben sich bei ihm Zeichen eines Infarkts gezeigt, denn er hat die Redaktion per SMS verständigt, dass es ihm nicht gut gehe. Die hat von sich aus den Notarzt alarmiert. Der Arzt (den Schirrmacher besser selbst über 112 gerufen hätte) konnte nicht mehr viel machen; bei seiner Ankunft fiel Schirrmacher vermutlich ins Kammerflimmern, Reanimationsversuche blieben erfolglos.

Was sind überhaupt die Symptome beim Herzinfarkt?

Starke Schmerzen in der Brust, oft mit Ausstrahlung in den Oberbauch, die Schulter, den linken Arm, den Hals oder den Kiefer; massives Engegefühl; heftiges Brennen; Übelkeit, Luftnot; Angstschweiß mit kalter, fahler Haut.

Woran ist Schirrmacher denn genau gestorben?

Es tauchte bei bild.de der offenbar in der Klinik recherchierte Hinweis auf, er habe ein Lungenödem entwickelt und danach ein Kammerflimmern.

Wie läuft dieser Prozess normalerweise ab?

Vielleicht so: In mindestens einem Herzkranzgefäß gibt es seit langem gefährliche Ablagerungen, die sogenannten atherosklerotischen Plaques. Wenn deren dünne Kappe einreißt, versammeln sich sofort massenweise Blutplättchen, die Thrombozyten, und verursachen eine Gerinnungssituation, die sich per Pfropf zur Embolie steigert: Das Gefäß geht zu und lässt kein Blut mehr durch. Das Gewebe hinter der Verengung bekommt dann keinen Sauerstoff mehr und stirbt langsam ab. Dadurch wird die Schlagleistung des Herzens schwächer und schwächer, es bildet sich eine akute Insuffizienz des linken Herzens. Das heißt: Es pumpt nichts mehr, das Blut staut sich zurück in die Lunge, und dort tritt wegen des gestiegenen Drucks Flüssigkeit ins Lungengewebe aus.

Das ist das Lungenödem?

Ja. Der Patient wird extrem kurzatmig, leidet unter Luftnot, und beim Abhorchen der Lunge hört man ein feuchtes Rasseln. Irgendwann hat sich jene Minderdurchblutung (Ischämie) des Herzens so zugespitzt, dass möglicherweise eine minderdurchblutete Herzmuskelzelle das Kammerflimmern auslöst. Das ist unbehandelt tödlich. Irgendwann im finalen Verlauf dieser Entwicklung hat der Notarzt Schirrmacher angetroffen, und er konnte angesichts der massiven Schädigung des Herzens nichts mehr machen.

Haben spätere Infarkt-Opfer oft schon früh Warnzeichen ignoriert?

Ja. Nicht wenige Infarkt-Opfer geben nach ihrer Rettung an, dass sie schon früher ein Engegefühl im Herzbereich verspürt haben (Angina pectoris als Zeichen der koronaren Herzerkrankung), aber sich nie darum gekümmert haben.

Kann es sein, dass manche Patienten einen Infarkt einfach falsch einschätzen? Ja. Manche Infarkte verlaufen leise, und falls ein Patient zudem Diabetiker gewesen ist, hat er Schmerzen sowieso geringer gespürt. Oder er hat die Schmerzen fehlgedeutet: als Sodbrennen, als Rippen- oder Rückenprobleme, als Schulterschmerz, als Bauchweh.

Haben manche Patienten vielleicht Angst, sich mit einem Zipperlein beim Notarzt zu blamieren? Oder haben andererseits Sorge, es könnte wirklich etwas Ernstes sein, und schieben es von sich?

Solche Ängste vor dem Notarzt oder der eigenen Krankheitsschwere gibt es viel zu häufig. Notärzte sind jedoch eher frustriert, wenn sie einen Patienten nicht mehr retten können. Deshalb predigen Notärzte und Kardiologen zu Recht: schon bei leichter Unklarheit über ein unbekanntes Gefühl in der Herzgegend die 112 rufen, lieber zehn Mal zu oft als einmal zu wenig.

Was hätte der Notarzt mit einem Infarkt-Patienten gemacht, wenn er früher gerufen worden wäre?

Gerade in modernen Großstädten gibt es mehrere Kliniken mit Herzkatheterlabor. Dort hätte man ihn minimalinvasiv versorgt und die Engstelle im Herzkranzgefäß mit einem Ballonkatheter aufgedehnt. Dieser Katheter wird über die Leisten- oder die Handgelenksarterie in den Körper geschoben. Nach der Aufdehnung wird diese Öffnung mit einer Gefäßstütze, dem sogenannten Stent, gesichert, damit sie nicht wieder zuwächst.

Und danach?

Dann wäre er eine Nacht zur Überwachung in der Klinik geblieben und hätte in Zukunft Medikamente nehmen müssen, die die Verklumpung von Blutplättchen hemmen.

Wenn ein Patient schon viel früher seine Symptome einordnet oder wenigstens hinterfragt und dann beunruhigt zum Arzt oder in eine Klinik geht - was würde dann mit diesem Patienten geschehen?

Gute Kliniken besitzen für solche Fälle eine spezielle Brustschmerzabteilung, die "Chest Pain Unit"; das wissen auch die allermeisten Hausärzte und Internisten. Dort, in der Klinik, hätte man ihn untersucht und überwacht. Und er wäre unter Kontrolle gewesen.

Kann es sein, dass mancher Infarkt-Patient gar keinen Herzinfarkt hatte?

Auch das ist denkbar. Wenn es eine Entgleisung des Blutdrucks gab, der ohnedies vielleicht immer zu hoch war, kann das ebenfalls eine Schwäche des linken Herzens hervorrufen. Auch hieraus kann sich ein Lungenödem entwickeln und zugleich ein sogenannter kardiogener Schock - auch der mit Kammerflimmern.

Registrieren Frauen einen Infarkt anders?

Manchmal ja. Aber die Leitsymptome sind ähnlich. Die Zahl der Frauen mit Herzinfarkten nimmt leider auch deutlich zu. Es ist ein Irrglaube zu meinen, er betreffe nur Männer.

Sind Notärzte so gut geschult, dass sie einen Herzinfarkt sofort erkennen?

Ja, die allermeisten Notärzte erkennen ihn sehr schnell oder haben jedenfalls die richtige Vermutung, dass es sich um einen handelt. Nur selten passiert es, dass er übersehen wird. Manchmal ist er in einem normalen EKG auch gar nicht zu erkennen, trotzdem liegt er vor, dann entscheiden eindeutig die Symptome.

Fahren die Notärzte dann immer ins nächste Krankenhaus?

Manchmal leider ja, manchmal leider nein. Im ersten Fall: Zeigt ein Kranker eindeutige Infarkt-Symptome und/oder EKG-Veränderungen, ist es nicht nur unsinnig, sondern hochgradig gefährlich, ihn nicht direkt in eine Klinik mit Herzkatheterlabor zu bringen. Es vergeht zu viel Zeit, wenn er zuerst in einem Normalkrankenhaus ohne Kardiologie landet und dann weitergeschickt werden muss. Im zweiten Fall: Manchmal fahren Notärzte quer durch einen Landkreis, um einen Patienten im eher entfernten Kreiskrankenhaus (mit Katheterlabor) abzuliefern, statt die Kreisgrenzen zu überschreiten und das in der Tat nächste Krankenhaus mit Labor anzusteuern. Die Regel gilt zwingend: Zeit ist Herz.

(RP)
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