Alzheimer Wie Angehörige das Vergessen lindern

Düsseldorf · Alzheimer bedeutet zu vergessen. Erst die kleinen Dinge wie Namen und Geldbeutel, irgendwann übernehmen die Lücken ganz den Alltag. Eine Therapie gibt es bislang nicht - aber viele Maßnahmen, die der Krankheit ihren Schrecken nehmen.

Alzheimer frühzeitig erkennen
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Alzheimer frühzeitig erkennen

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Die Diagnose Alzheimer erfüllt nicht nur die Betroffenen oftmals mit vielen Ängsten. Auch die Angehörigen wissen meist nicht, wie sie mit der Krankheit umgehen sollen. Dabei sind sie ihr keineswegs hilflos ausgeliefert. Der größte Verbündete gegen die Demenz-Erkrankung ist die Zeit. Angehörige, die sie gut zu nutzen, gut zu organisieren wissen, ringen der Alzheimer-Demenz die Kontrolle über das Leben ab. "Alzheimer erstreckt sich über einen Zeitraum von rund sieben Jahren. Auch wenn Viele die Diagnose erst in einem fortgeschrittenerem Stadium bekommen, so bleiben danach oft noch Jahre in denen der Betroffene mindestens klare Phasen hat", sagt Silke Lua, Psychologin beim Demenz Servicezentrum Region Düsseldorf.

Die verbleibende Zeit nutzen
Diese Zeit voll auszunutzen ist der erste Schritt. "Es ist wichtig gemeinsam mit dem Betroffenen darüber zu sprechen welche Lebensträume und Wünsche er noch hat", sagt die Psychologin. Die wichtigsten Punkte sollten in einer Liste festgehalten und konkret miteinander geplant werden. "Diese Erlebnisse mit dem Betroffenen zu teilen, ist eine besonders innige Erfahrung für die Angehörigen." Denn selbst, wenn der Patient dabei ab und zu etwa vergesse wo er sich befinde, die Fähigkeit zu Freude und Begeisterung verliere er nicht.

Den Moment genießen
Ganz im Gegenteil. "Ein Alzheimer-Patient zählt beispielsweise keine Kalorien. Er genießt einfach ganz ungeniert und ungehemmt das Stück Kuchen", so Lua. Wer es schafft sich nicht auf das Vergessen, sondern auf den Moment mit ihm zu konzentrieren, kann unheimlich viele schöne Erfahrungen machen. Wichtig ist hier vor allem nicht ungeduldig oder unfreundlich zu werden, sondern auf liebevolle Weise das Ruder in die Hand zu nehmen. "Die Patienten ziehen sich oft stark in sich zurück, da sie ihre eigene Unzulänglichkeit bemerken." Mit freundlicher Offenheit auf sie zuzugehen, kann deshalb auch in fortgeschritteneren Stadien zu intensiven Begegnungen führen. Dem Betroffenen so zu begegnen kann Angehörigen viel Ruhe geben, und somit der Krankheit eine ihrer schlimmsten Fratzen nehmen: Die Idee den inneren Kontakt mit dem Anderen zu verlieren.

Bürokratische Details
Der nächste Schritt sind Absprachen aller Art zu treffen: Wer soll Vollmachten bekommen? Wer soll sich Kümmern? Wie sieht die Patientenverfügung aus? Und will der Patient so lange wie möglich in der eigenen Wohnung bleiben, kann und will er zu Angehörigen oder in eine Demenz-WG ziehen? Fragen wie diese sollten möglichst früh beantwortet werden. "Der Betroffene ist ja nicht dumm, er vergisst nur was gesagt worden ist", sagt Lua.

Alle Details mit ihm durchzugehen, so lange er dazu noch in der Lage ist, entlastet die Angehörigen und ist aus bürokratischen Gründen ein Muss. Zum einen brauchen Ärzte und Ämter die Unterlagen, damit über das medizinische Verfahren oder auch finanzielle Mittel auch dann entschieden werden kann, wenn die geistigen Fähigkeiten des Erkranken es ihm selbst unmöglich machen. Zum anderen gibt es vielfältige Unterstützung, die sich Angehörige von der Pflegeversicherung und verschiedenen Einrichtungen holen können.

Konkrete Lösungen für die Pflegezeit
"Viele scheuen sich etwa eine vollstationäre Pflege in Anspruch zu nehmen, da sie sehr kostenintensiv ist", erklärt Lua. Es gibt aber sehr gute Alternativen. "Zum Beispiel besteht die Möglichkeit den Patienten zwei Tage die Woche in eine Tagespflegeeinrichtung zu geben." Dafür wird er morgens mit dem Bus abgeholt, kann dort verschiedene therapeutische Angebote wie Physiotherapie oder auch Hilfe bei der Körperpflege in Anspruch nehmen und wird Abends wieder nach Hause gebracht. "Bei dieser Lösung kann etwa eine pflegende Ehefrau zwei Tage die Woche selbst Krafttanken oder auch ein paar Erledigungen machen, während der Mann in der Tagespflege ist", sagt die Psychologin.

Alternativ kann auch ein Dienst für das Mittagessen gebucht und ehrenamtliche Helfer engagiert werden, die regelmäßig mit dem Betroffenen Spazierengehen. "Es ist sehr wichtig, dass Angehörige regelmäßig Ruhephasen nehmen und durchatmen. Nur so bleibt die gute gemeinsame Atmosphäre auch auf Dauer erhalten", sagt Lua.

Für die Anfangszeit empfiehlt Lua deshalb möglichst schnell Strukturen einzuziehen. "Viele Patienten tun sich schwer mit der Idee, Hilfe in Anspruch zu nehmen", so Lua. Um hier für eine sanfte Eingewöhnungsphase zu ermöglichen, die das Familienverhältnis nicht belastet, kann man beispielsweise einen Pflegedienst für die Medikamentengabe engagieren. "Merken die Angehörigen bei einem Alleinlebenden, dass er seine Medikamente vermutlich vergisst, kann der Pflegedienst eingeschaltet werden, der nur kommt, um die Einnahme zu sichern und dann wieder fährt."

Schneller als die Krankheit sein

Rechtzeitig möglich werden all diese Maßnahmen aber nur, für diejenigen, die von ihnen wissen. Der aller erste Schritt gegen die vermeintliche Übermacht von Alzheimer ist deshalb sich rechtzeitig Informationen und Hilfe zu holen. "Alzheimer muss nicht in einer schrecklichen Situation enden, in der nur Missmut, Verzweiflung und Wut herrscht," sagt Lua. Die Kunst liegt in dem Balance-Akt auf der einen Seite die Besonderheit der letzten klaren Phasen mit dem Betroffenen auszukosten, und auf der anderen Seite dem Fortschreiten der Krankheit auf organisatorischer Ebene immer einen Schritt voraus zu sein.

In Angehörigenschulungen können Familienmitglieder frühzeitig lernen wie das Krankheitsbild ist, was sie wirklich tun können, und wie sie richtig mit dem Patienten kommunizieren. Außerdem können alle Beteiligten in wöchentlichen Betroffenen- und Angehörigengruppen über ihre Erlebnisse reden und spüren so, dass sie nicht alleine sind, können immer wieder Fragen stellen und sich mit anderen austauschen. "Die Emotionalität der Menschen geht nicht verloren. Wem es gelingt mit ihnen die Gegenwart zu genießen, kann trotz der Diagnose mit einer sehr schönen und intensiven Zeit belohnt werden."

(ham)
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