Transplantation Gibst du mir dein Gesicht?

Basel · Immer mehr Zentren weltweit bieten Gesichtstransplantationen an. Auch in Deutschland könnte es irgendwann sein, dass Organspender um ihr Antlitz gebeten werden. Eine Gewissheit besteht: Die Empfänger gleichen dem Spender nie.

So funktioniert eine Gesichts-Transplantation
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So funktioniert eine Gesichts-Transplantation

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Eine Niere zu spenden oder eine Leber, ist die eine Sache. Aber das Gesicht? Es ist uns näher als die Eingeweide. "Es ist etwas ganz Persönliches", sagt Hans-Florian Zeilhofer, Gesichtschirurg am Universitätsspital in Basel. Es ist ebendieses Gesicht, das wir wahren und an dem uns Menschen erkennen - auch nach dem Tod. Kann man das einfach so einem anderen Menschen, einem Schwerkranken, geben?

Die Gesellschaft muss sich dieser Frage stellen. Denn seit einigen Jahren transplantieren Ärzte Gesichter. Das ist sogar unproblematischer als die Verpflanzung einer Lunge - gemessen jedenfalls an den Überlebenszeiten der bisher Operierten. Mit einer neuen Lunge übersteht nur die Hälfte der Patienten die nächsten fünf Jahre. Die knapp 30 Gesichtstransplantierten leben mit Ausnahme von dreien alle noch. Die erste Patientin, Isabelle Dinoire aus Frankreich, geht mit ihrem neuen Antlitz schon ins neunte Jahr. Ein Hund hatte sie angefallen und ihr Gesicht schwer entstellt.

Es sind allesamt Opfer der Angriffe von Tieren, von Explosionen, Bränden und Arbeitsunfällen, die so schwer verwundet wurden, dass die konventionelle Gerichtschirurgie nicht mehr half. Es fehlten die Lippen, die Zähne, manchmal die Nase, das Kinn und die Wangen. Sie werden künstlich ernährt, weil sie nicht mehr schlucken und kauen können. Der Unfall hat ihnen das Sprechen, Lachen und Küssen genommen. Auf der Straße sieht man sie nie. Denn viele Menschen erschrecken sich vor der entstellten Visage. Kinder schreien entsetzt auf, und Taxifahrer halten nie. "Die Patienten erleiden einen symbolischen Tod, weil sie kein Sozialleben mehr haben", sagt Benoît Lengele, Gesichtschirurg am Universitätsklinikum Brüssel.

Nach drei Tagen erster Geruchssinn mit "neuer" Nase

Seit 2005 können Ärzte den Betroffenen aber das Gesicht eines Spenders verpflanzen. Mit ein bis zwei Zentimetern pro Monat wachsen die Nerven in das neue Gewebe ein. "Das Gefühl kommt zuerst, dann die Mimik", schildert Bohdan Pomahac, dessen Team neben der französisch-belgischen Gruppe um Lengele als führend gilt. An der Harvard Medical School in Boston hat der Chirurg bisher fünf Patienten operiert. Ein Patient konnte schon nach drei Tagen mit der neuen Nase riechen.

Nach wenigen Monaten konnten alle heiß und kalt auf der Haut unterscheiden und spürten Berührungen. Nach einem Jahr konnten sie die Lippen bewegen, den Mund schließen und lächeln. Die Transplantierten lernen wieder akkurat zu sprechen, zu essen und trinken. Einem Patienten wurde sogar eine Zunge mit transplantiert, mit der er wieder schlucken kann. Im Supermarkt erschrickt niemand mehr vor ihnen. Nur langgezogene Narben zeugen von der Verwandlung. "Die meisten führen wieder ein völlig normales Leben, gehen arbeiten und aus", berichtet Jean-Michel Dubernard vom französisch-belgischen Team, seines Zeichens Transplanteur an der Universität Lyon.

Doch die Protokolle der Patienten berichten auch von immer wiederkehrenden Infektionen. Dort ein Lippenherpes, da eine Lungenentzündung. Es ist der übliche Leidensweg der Transplantierten. Wirklich gesund sind sie nie mehr. Sie müssen zeitlebens Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken, damit sie das neue Gesicht nicht verlieren. Diese Arzneien begünstigen aber Hautkrebs, Diabetes und Nierenschädigungen. Ist das gerechtfertigt für einen Eingriff, der kein Leben rettet und zuvorderst kosmetischer Natur ist?

Die Chirurgen wenden ein, dass weniger immununterdrückende Medikamente nötig sind als mit einer neuen Niere. Deshalb sollten die Nebenwirkungen schwächer sein. Dass viele der bisher Transplantierten sich in den Medien überaus glücklich äußerten, spricht freilich für sich.

Eine andere Sorge konnte zudem weitgehend zerstreut werden. Die Empfänger sehen nach der Operation nicht wie der Verstorbene aus. Ihr Gesicht gleicht eher ihrem eigenen vor dem Unfall. "Wenn nur die Haut und das Bindegewebe auf eine bestehende knöcherne Partie übertragen wird, ist ein Identitätsklau wie in Science-Fiction-Filmen nicht möglich", stellt Zeilhofer klar. Manchmal werden allerdings Teile des Knochens vom Spender mit übertragen, etwa das Kinn oder der Stirnknochen. Dann entstehe ein Gesicht, das einem Mix von Spender und Empfänger gleicht. Lengele beteuert aber: "Man kann aus John Travolta nicht Nicolas Cage machen."

Nach dem Erfolg der US-Amerikaner und des französisch-belgischen Teams bieten nun immer mehr Nationen die Gesichtsverpflanzung an. Die Deutschen überlegen derzeit, in der Schweiz beobachten Gesichtschirurgen wie Zeilhofer die Situation. In der Türkei, in Spanien und in China operiert man schon.

Die Entzündungsgefahr ist bislang sehr hoch

Lengele macht sich Sorgen, einige der Newcomer könnten zu forsch vorgehen. "Man muss die Patienten konservativ auswählen", appelliert er. In Spanien und in China starben zwei Patienten. "Wir können nicht erwarten, dass alles glatt läuft. Und wir lernen aus solchen Fehlern", nimmt Pomahac die Konkurrenz in Schutz. Die Franzosen betreiben nun ein Register, dem alle Teams ihre Patientenprotokolle samt Komplikationen melden sollen. Doch nicht alle beteiligen sich daran. Sie sind eben auch Konkurrenten.

Dem Sog des Fortschritts können sie sich nicht entziehen. "Vielleicht können wir künftig ganz auf immununterdrückende Medikamente verzichten", kündigt Pomahac sein nächstes Experiment an. Die amerikanische Arzneibehörde FDA hat bereits zugestimmt, nach einer Gesichtstransplantation nur noch einen Wirkstoff zu spritzen, der das Immunsystem tolerant macht, ohne die Körperabwehr massiv zu drosseln. "Die Patienten können damit Krebs und Infektionen abwehren", so Pomahac. Es wäre ein echter Durchbruch in der Transplantationsmedizin. Wenn er gelingt, wäre es gerechtfertigt, auch anderen Patienten Gesichtsteile von Spendern wie Nase, Lippen und Lider zu übertragen, stellt Pomahac in Aussicht. Dann würde die Nachfrage nach Gesichtern von Verstorbenen langsam, aber verlässlich wachsen.

Bleibt die Frage, wer sein Antlitz dafür hergibt. In den USA sei es schwierig, Spender zu finden, berichtet Marcus Lehnhardt vom Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum. Wenn der Tote aufgebahrt werden soll, muss eine Maske angefertigt werden, damit die Angehörigen nicht eine gesichtslose Leiche anstarren müssen. In Frankreich dagegen würden die Angehörigen meist einer Spende zustimmen, behauptet Lengele.

Die meisten Menschen reagieren überrumpelt auf die Frage, ob sie ihr Gesicht spenden würden. Sogar Ärzte sind um eine Antwort verlegen: "Ich zögere", antwortet Zeilhofer. "Es ist etwas viel Persönlicheres als eine Niere. Spontan habe ich da Bauchweh." Niemand kann in ein paar Minuten über einen Eingriff von solcher Tragweite entscheiden.

(RP)
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