Gesünder älter werden Prävention: Die Zeit drängt

Die Gesellschaft altert; die Menschen leben länger. Damit sie lange gesund bleiben, wird das Thema Prävention immer wichtiger – für den Einzelnen und für die Gesellschaft. Doch immer noch fehlt die Aufmerksamkeit dafür. Es wird Zeit, sich ernsthaft mit dem Thema zu befassen, mahnen führende Präventions-Experten.

Gesünder älter werden: Prävention: Die Zeit drängt
Foto: ALOISMÜLLER

Die Gesellschaft altert; die Menschen leben länger. Damit sie lange gesund bleiben, wird das Thema Prävention immer wichtiger — für den Einzelnen und für die Gesellschaft. Doch immer noch fehlt die Aufmerksamkeit dafür. Es wird Zeit, sich ernsthaft mit dem Thema zu befassen, mahnen führende Präventions-Experten.

"Wir wollen mit unserer Stiftung einen Beitrag leisten, dass alle Menschen Vor- und Nachteile, Nutzen und möglichen Schaden von Vorsorgeuntersuchungen besser einschätzen können. Es geht um den aufgeklärten Bürger und im Hinblick auf die demografische Entwicklung darum, ohne größere Gebrechen und in Würde alt zu werden. Dabei kann die Präventivmedizin einen wichtigen Beitrag leisten."

Mit diesen einleitenden Worten gibt Prof. Dr. Gerd Assmann, Vorstandsvorsitzender der Assmann- Stiftung für Prävention, beim RP-Forum "Gesünder älter werden — Neue Ansätze aus der Präventivmedizin" die Richtung vor. Dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, zeigt sich gleich schon beim Thema Ernährung.

Eigentlich ist es so einfach: gesund essen, Hände weg von Zigaretten, mehr bewegen, Alkohol in Maßen und so weiter. Die Grundregeln, wie man gesund alt wird, gelten im Prinzip seit jeher. Und dennoch beklagen Ernährungs- und Präventionsexperten, das Thema spiele weder im Alltag der Menschen noch in der gesellschaftlichen und politischen Wahrnehmung die Rolle, die angemessen wäre.

Im Gegenteil: "Wir sind ein Volk der Snacker geworden", beschreibt Prof. Dr. Ursel Wahrburg vom Fachbereich Oecotrophologie der Fachhochschule Münster das Ernährungsverhalten der Deutschen. Im Alltag haben die Menschen wenig Zeit, schieben schnell mal Snacks in den Magen. Fertigprodukte und Fastfood würden nur scheinbar sättigen, versteckte Fette und Zucker und damit reichlich Kalorien würden aber dazu beitragen, dass die Menschen übergewichtig werden und Krankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislaufstörungen bekämen.

"Die Grundlage der gesunden Ernährung ist aber ganz einfach", sagt die Expertin: "Nicht mehr Kalorien zuführen, als wir brauchen und vor allem viel frisches und naturbelassenes Gemüse und Obst essen." "Genussvolles Vorbild" bei der Zubereitung könne die traditionelle mediterrane Küche sein.

Genau daran hapert es an vielen Stellen. Schulverpflegung, Kantinen und auch viele Speisen in Restaurants kommen nicht ansatzweise an die Vorbilder heran, beklagt Ursel Wahrburg. Der Boom der Bioprodukte und -supermärkte widerspreche diesem Bild nicht, ist die Wissenschaftlerin überzeugt: Der Anteil der Bevölkerung, der auf bewusste Ernährung achte, nehme auf niedrigem Niveau zu, die große Mehrheit interessiere sich nicht für das Thema.

"Biologisch ernähren ist zudem nicht unbedingt gleichbedeutend mit Prävention betreiben", gibt Prof. Dr. Peter Feindt, Chefarzt an der Klinik für Thoraxchirurgie im Clemenshospital, Münster, zu bedenken: "Man kann auch zu viel Biofleisch essen." Nicht nur Unternehmenskantinen, sondern insbesondere auch die in Krankenhäusern sollten sich an die Regeln der guten Ernährung halten, fordert Prof. Dr. Elisabeth Steinhagen- Thiessen, Ärztliche Leiterin des Evangelischen Geriatriezentrums und Professorin an der Charité in Berlin. In Kliniken werde häufig genauso ungesundes Essen angeboten wie anderswo.

Professor Dr. Uwe Nixdorff (European Prevention Center) hinterfragt die Ursachen der fehlenden Umsetzung eines Ampelsystems, in dem auf Nahrungsprodukten nach ökotrophologischen Evidenzen Grün für die Empfehlung, Rot für eine Warnung und Gelb für eine eher neutrale Wertung steht. Dies würde bei einer immer noch nicht ausreichend bestehenden Kenntnis gesunder Ernährung dem Verbraucher eine Hilfestellung geben, ist Nixdorff überzeugt.

Er verweist auf bereits vorliegende gesundheitsorientierende Nahrungsmittel im freien Markt wie zuckerarme Cola- Getränke (Cola light oder Cola zero) oder auch Wurst- und Käsewaren mit werbewirksamer Fettreduktion (etwa mit dem Slogan "Du darfst"). "Ein Teil der Verbraucher sucht nach gesunder Nahrung, worauf sich die Industrie bereits zum Teil eingestellt hat", sagt Nixdorff.

Auch andere Präventionsexperten beklagen durchweg, dass die einmal geplante Ampel auf Lebensmittelverpackungen — Grün für geringen Anteil ungesunder Inhaltsstoffe, Rot für einen hohen Anteil — nicht gekommen ist. "Alle waren vom Sinn überzeugt, nur die Politik nicht", sagt Ursel Wahrburg. "Das Ampelsystem funktioniert, aber in Deutschland haben sich zu viele Lobbyisten aus der Lebensmittelindustrie dagegen ausgesprochen", erklärt Elisabeth Steinhagen- Thiessen. Sie fordert, das Thema auf der Agenda nach oben zu schieben: "Die Politik muss ihren Beitrag leisten. Wir haben keine Zeit zu verlieren."

Vorbild könnte das Rauchverbot sein, schlägt Prof. Dr. Arnold von Eckardstein, Direktor am Institut für Klinische Chemie des Züricher Universitätsspitals, vor: "In vielen Ländern ist in Folge des Rauchverbots in Restaurants und öffentlichen Räumen die Zahl der Herzinfarkte deutlich gesunken." Man könne aus dieser Erfahrung auch in anderen Gebieten der Prävention lernen. Vor allem müsse man früh ansetzen, bereits in der Kindererziehung, rät Prof. Dr. Dietrich Baumgart, Partner der interdisziplinären Praxisklinik Preventicum, Essen: "Je später man damit beginnt, desto schwerer fällt es, das Verhalten zu ändern."

Mehr Aufklärung über die Folgen falscher Ernährung und mögliche Prävention sei nötig, betont Baumgart. Hier sieht Ulrich Adler, Leiter regionales Vertragswesen in der Landesvertretung NRW der Techniker Krankenkasse, auch zum Beispiel Schulen gefordert. Ihnen fehle es aber häufig am Know-how. "Wir müssen daher mehr in die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer investieren", sagt Adler und weist auf Projekte hin, die die Techniker Krankenkasse zusammen mit Schulen macht. Gesellschaftliche Zusammenhänge spielen auch bei weiteren Aspekten der Diskussion eine Rolle.

Etwa bei der Frage, ob sich Menschen aus ärmeren Schichten überhaupt eine gesunde Ernährung leisten können. "Man kann auch preiswert einen gesunden Warenkorb zusammenstellen", ist Ursel Wahrburg überzeugt. Wie drängend das Thema Prävention ist, macht Elisabeth Steinhagen-Thiessen, die auch den Lehrstuhl für Altersmedizin, Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin an der Charité innehat, an Informationen über Krankheiten deutlich: Herzinfarkte und Schlaganfälle sowie Osteoporose und die Folgen (Knochenbrüche) stehen ganz oben, auch bei den Kosten.

"Wir können diese Krankheiten vermeiden", betont die Wissenschaftlerin, "Prävention lohnt sich." Dabei seien aber Individuen und Gesellschaft gefordert. "Es geht um Eigenverantwortung, aber auch darum, mehr Beratung anzubieten." Derzeit sei indes Prävention nicht etabliert, sie werde nicht honoriert und habe auch in der Medizinwelt keinen hohen Stellenwert. Das müsse sich dringend ändern.

Anhand "aufrüttelnder Zahlen" zur demographischen Entwicklung machte Prof. Dr. Heiner Greten, Ärztlicher Direktor am Hanseatischen Herzzentrum der Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg, deutlich, wieso das Thema so drängt: "Schon in wenigen Jahren, etwa im Jahr 2020, wird es zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte mehr über 65- Jährige geben als unter Fünfjährige, und zwar weltweit."

Überproportional nehme die Zahl der über 85-Jährigen zu. "Altern per se ist keine Krankheit", betont Greten. Altern sei aber der entscheidende Risikofaktor für bestimmte Krankheiten. Solche oft chronischen Krankheiten könnten häufig zwar nicht geheilt, aber durch geeignete Präventionsmaßnahmen erfolgreich in ein höheres Alter hinausgeschoben werden. Was ja auch zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen würde.

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