Kalte Hände, Herzrasen, Unruhe Daher kommt die Angst vorm Arzt

Berlin/Düsseldorf · Gerne geht kaum einer zum Arzt. Doch manchen plagt ein solch ungutes Gefühl, dass er selbst ernste Symptome so lange verdrängt, bis sie übermächtig werden. Dann aber ist es für die Gesundheit vielleicht schon zu spät. Lesen Sie hier, warum wir so furchtbare Angst vor dem Arzt haben.

 Die Angst vor dem Zahnarzt gehört zu den häufigsten Ängsten.

Die Angst vor dem Zahnarzt gehört zu den häufigsten Ängsten.

Foto: thinkstock/Milan Markovic

Das Ziehen in der Brust — sicher nur eine Verspannung, schließlich hat man auch schlecht geschlafen. Der braune Fleck am Zahn — sieht doch eigentlich nur aus wie eine Teeablagerung. Zwar wallt das ungute Gefühl immer wieder hoch, doch wird es eilends beiseitegeschoben und der Gang zum Arzt vertagt. Manchmal so lange, bis es gar nicht mehr anders geht.

Besonders Männer sind als Ärzte-Meider bekannt und vernachlässigen im Vergleich zu Frauen ihre Gesundheit häufiger. Das ergab der Gesundheitsreport 2013 der Barmer Krankenkasse. Mit bitterer Konsequenz trägt CDU-Politiker Wolfgang Bosbach als prominentes Beispiel seit vier Jahren seine unheilbare Prostatakrebs-Diagnose.

Zu lange gewartet — unheilbar krank

Er hatte den Rat seiner Frau nicht befolgt, rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Im NDR-Talk mit Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt räumt er offen ein: "Ich habe mich sehr über mich geärgert, weil ich 2004 wusste, dass ich völlig gesund war… und dass es sechs Jahre später dann schon zu spät war. Dann sagst du dir natürlich, Mensch wärst du doch nur zur Vorsorgeuntersuchung gegangen. Denn die Therapiechancen sind bei dieser Erkrankung sehr gut, wenn sie rechtzeitig entdeckt wird."

Neben Zahnärzten stehen Neurologen und Psychiater, Chirurgen und Internisten ganz weit oben auf der Vermeidungsliste. Doch das Vertagen und Wegschieben nötiger Arzttermine oder Vorsorgeuntersuchungen ist menschlich. Die Berliner Psychologin Silke Haase kennt das von vielen Krebspatienten, die sie in ihrer Angst vor der Krankheit betreut. Viele Menschen treibe die Sorge davor um, zu erfahren, was man lieber nicht wissen wolle, sagt sie. Aber es gebe auch den umgekehrten Fall: Patienten gehen zu Vorsorgeuntersuchungen, weil sie hören wollen, dass sie gesund sind. "Sie fallen aus allen Wolken, wenn sie es nicht sind", sagt die Psychologin.

Wenn sich die Angst unbewusst ins Gedächtnis gräbt

Daneben gibt es eine Unzahl anderer Befürchtungen, die eine Rolle spielen können: Großes Unwohlsein im Computertomografen zum Beispiel aus Angst vor der Enge im Untersuchungsgerät. Aus diesem Grund bieten Radiologische Praxen oder Krankenhäuser auch Untersuchungen in offenen Tomografen an. Auch Erfahrungen aus der Vergangenheit, die sich ins Unterbewusstsein gefressen haben, können später solche Ängste auslösen. Die Psychologie bezeichnet das als "unbewusstes Angstgedächtnis". Erstmals beobachtete dies der Genfer Arzt und Psychologe Edouard Claparède zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Er behandelte eine Patientin, die an Vergesslichkeit litt. Jedes Mal, wenn die Patientin zur Behandlung erschien, musste er sich erneut vorstellen. Sie hatte vergessen, wer er ist. Bei einem Besuch begrüßte er die Frau und hielt in seiner ausgestreckten Hand eine Reißzwecke verborgen. Die Frau fasste hinein, erschrak sich und schrie vor Schmerz. Beim nächsten Besuch weigerte sich die Patientin, dem Arzt die Hand zu schütteln, obwohl sie ihn nicht wiedererkannte. Auch kannte sie den Grund für den Rückzug nicht. Der Psychologe folgerte daraus, dass die Frau durch ihr unbewusstes Angstgedächtnis vor einer erneuten Schmerzerfahrung schützen wollte.

Die Angst vor Spritzen

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Foto: Shutterstock/wavebreakmedia

Ähnlich können schmerzhafte Behandlungen beim Arzt wirken, falsche Diagnosen oder ungute Erfahrungen mit Medizinern lassen unbewusst das Grauen wachsen. In einer anderen Situation können sie selbst Jahrzehnte später noch der Grund für ein beklommenes Gefühl sein. So erklärt sich das ängstliche Gefühl in Zusammenhang mit Spritzen bei vielen Menschen aus einer frühkindlichen Erfahrung: ihrer ersten Impfung. Dieses Erlebnis wirkt oftmals lange nach und überlagert auch positive Erfahrungen mit dem helfenden Berufsstand.

In Extremfällen kann es dazu führen, dass Patienten wichtige Impfungen im Erwachsenenalter verstreichen lassen, weil sie sich vor der Spritze fürchten. Oder selbst gestandene Manager dazu bringen schlechten Gewissens den Termin für die nötige Blutabnahme unbeachtet zu lassen, weil sie Angst vor der Nadel haben. Die ist nicht selten. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch schätzen Experten, dass rund drei Prozent der Deutschen sich vor Nadeln und Spritzen ängstigen. Zwingen sie sich dennoch zur Blutabnahme, kann es leicht zur Ohnmacht der Betroffenen kommen. Der Grund: Die Anspannung lässt den Blutdruck steigen. Im Anschluss an die Behandlung fällt dieser jedoch stark ab und der Körper quittiert das mit einer kurzen Bewusstlosigkeit.

Wenn der weiße Kittel den Blutdruck steigen lässt

Ein ähnliches Phänomen erfahren Menschen, die unter einer sogenannten "Weißkittelhypertonie" leiden. Sehen sie den Arzt, klettert ihr Blutdruck vor lauter Anspannung in die Höhe. "Es gibt zahlreiche Patienten, die selber genau wissen, dass es keinen Sinn hat, sich vom Arzt den Blutdruck messen zu lassen", sagt die Berliner Psychologin. Für sie kann es hilfreich sein, entweder selbst regelmäßig zu Hause den Blutdruck zu ermitteln oder es mit einer Messung in der Apotheke zu versuchen.

Laut einer Erhebung des Berufsverbandes der Allgemeinärzte fürchten sich rund zwei Millionen Deutsche so sehr vor den Helfern im weißen Kittel, dass sie eine krankhafte Angst entwickeln, auch Iatrophobie genannt. Oft ertragen die Betroffenen über lange Zeiträume große Schmerzen oder auch psychischen Druck, weil die Furcht vor dem Arzt ihr eigentliches Problem so sehr überlagert. Allein die Vorstellung zum Arzt zu müssen kann eine Panikattacke auslösen. Diese äußert sich in Herzrasen, Schweißausbrüchen, weichen Knien oder Atemnot.

Zahnärzte — Angstmacher Nummer eins

Vor allem Zahnärzte sind oft mit angsterfüllten Patienten konfrontiert. Denn die Angst vor ihnen ist am weitesten verbreitet. Allein der Gedanke an die kreischenden Geräusche von Bohrern und anderem Gerät, das vibrierend und tosend die Atmosphäre der Praxis durchschneidet, reicht aus, um den meisten ein ungutes Gefühl zu erzeugen, kalte Hände oder eine innere Unruhe. Die Berliner Psychologin bringt dies jedoch auch mit traumatischen Erfahrungen in Zusammenhang, die Menschen bei diesem Facharzt gemacht haben. "Angsteinflößend ist für viele, dass man nicht sieht, was der Arzt eigentlich macht. Andere haben hier weniger vor der Diagnose Angst, sondern vor der Behandlung", weiß Psychologin Silke Haase.

Immer mehr Praxen setzen darum auf das beruhigende Einwirken des gesamten Praxisteams auf den Patienten, besonders moderne Praxen versuchen mit einer beruhigende Farbgestaltung positiv Einfluss zu nehmen. Auch ist man dort bemüht, Behandlungsgerätschaften und —materialien unauffällig in der Praxisgestaltung aufgehen zu lassen. "Es gibt zudem enge Kooperationen zwischen Psychologen oder Hypnotherapeuten und Zahnärzten", sagt Haase.

Angst vor dem Ausgeliefertsein

Ein Problem, das eher grundsätzlicher Natur ist, ist das Gefühl des Ausgeliefertseins beim Doktor. Sein eigenes Wohl und Wehe in die Hände eines Fremden zu übergeben, fällt zahlreichen Menschen schwer. Vor allem vor Operationen treibt das bei Betroffenen den Angstpegel in die Höhe. Aus diesem Grund arbeiten Kliniken an Konzepten, die es Patienten leichter machen. Das angstfreie Krankenhaus in Berlin ist ein Beispiel dafür oder auch der angstfreie OP in einer Klinik in Lünen bei Dortmund.

Unterstützung beim Psychologen sollte man sich holen, wenn die Furcht vor Untersuchungen, Diagnosen, Krankheiten oder Ärzten beginnt, das Leben des einzelnen zu bestimmen. "Wer kaum einen anderen Gedanken mehr fassen kann, oder bei jedem Zipperlein Angst vor einer tödlichen Krankheit hat, sollte sich Hilfe holen", sagt Psychologin Haase.

Meist könnten sich angstsensible Patienten aber dadurch beruhigen, dass sie ihre Furcht mit der Realität abgleichen und sich Fragen stellen wie: Habe ich das schon einmal gehabt? Kenne ich andere, die das schon einmal hatten? Was haben die in der Situation getan? Wer könnte mir helfen? Wenig ratsam sei es hingegen, im Internet selbst auf die Suche nach Erklärungen für bestimmte Symptome zu gehen. "In Foren melden sich meist nur diejenigen zu Wort, die etwas ganz Schreckliches erlebt haben", so Haase. Das zu lesen erzeuge noch mehr Angst. Besser sei es, einen Arzt zu suchen, zu dem man wirklich Vertrauen hat.

(wat)
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