Sommerserie Wahlheimat an der vergessenen Küste

Brigitte Schroeder wollte nicht weg aus Düsseldorf. Nun lebt sie seit mehr als 20 Jahren mit einem US-Amerikaner in Apalachicola, der Austernhauptstadt Floridas, und betreibt ein Bed & Breakfast.

Manchmal setzt sich Brigitte Schroeder ans Ufer des Apalachicola River und schließt die Augen. Dann stellt sie sich vor, sie wäre in Düsseldorf und säße in einem Café am Rhein. "Träumen darf man ja, ne", sagt die 74-Jährige und lacht. Düsseldorf ist schließlich ein paar Tausend Kilometer weiter östlich, jenseits des Atlantik, also mehr als einen Katzensprung entfernt von Florida, wo sie nun bereits seit weit über zwei Jahrzehnten lebt. Dort im beschaulichen Kleinstädtchen mit dem indianischen Namen Apalachicola, im sogenannten Pfannenstiel des Sonnenscheinstaates, betreibt sie seit Mitte der 90er Jahre mit ihrem amerikanischen Mann Ken in einer Seitenstraße das Bed&Breakfast "Bryant House".

Eine Handvoll Zimmer hat diese familiäre Pension. Auf der Veranda stehen Schaukel-stühle. Gleich daneben hockt der käsesüchtige Papagei Einstein im Käfig. Obwohl Brigitte und Ken schon jenseits der Pensionierungsgrenze sind, kümmern sie sich nach wie vor um alle anfallenden Arbeiten selbst - dazu gehört auch das Frühstück, das für Brigitte immer auch ein Stück Heimat ist. Statt Bacon und Pancakes kommen Wurst und Käse, gekochte Eier, frische Brötchen und Croissants auf den Tisch. Der Kaffee kommt aus Deutschland. Besonders wichtig ist ihr, den Tisch einzudecken wie an einem Feiertag in Deutschland - mit Porzellangeschirr und Weingläsern für den Orangensaft. Auch ihren breiten deutschen Akzent mit Rheinland-Einschlag hat sie nicht verloren.

Einst hätte sie sich nicht vorstellen können, ihre Heimat zu verlassen. Vor allem wegen der Kinder. Und weil sie es liebte, in Düsseldorf zu leben. Dass es anders kam, lag an ihrem heutigen Mann. Ken war damals bei der US-Armee in Rammstein stationiert, entdeckte in einem Restaurant die hübsche Blonde und konnte seinen Blick nicht mehr lösen. Sie heirateten. Als Ken nach seiner Militärzeit in Deutschland keine Arbeit fand, musste sie in den sauren Apfel beißen und folgte ihm zunächst nach Tallahassee ins nordwestliche Florida. Brigitte sprach damals nur wenige Wörter Englisch. Ein paar Jahre lang hatte sie starkes Heimweh, und mit der Stadt wurde sie auch nicht warm.

Auch mit Apalachicola war es nicht gerade Liebe auf den ersten Blick. Jahre bevor sie dort landeten, waren sie mal durchgefahren. Damals war dort nichts los. Geschäfte gab es wenige, eigentlich fast gar keine. Und dass Austern und Schrimps zum Essen auf Zeitungspapier geschüttet wurden, ekelte sie an. "Bring mich nie wieder hier her", hatte sie ihrem Mann gesagt. Dass es doch anders kam, lag an einer Freundin, die während ihres Besuchs einen Ausflug nach Apalachicola unternehmen wollte. Und auf einmal passte alles: der schöne Blick über den Fluss, auf dem die Schiffe schaukelten, die niedliche Geschäftsstraße. Vor allem aber der überaus freundliche Kontakt zu den Einheimischen, die sie gleich zur Tea Time einluden. In wenigen Stunden lernte sie damals mehr Leute kennen als in den Jahren in Tallahassee. "Oh my god, that is so beautiful", dachte sie sich. Beim ersten Mal hatte sie das nicht erkannt und wollte es auch gar nicht. "Ich war immer noch mit beiden Beinen in Deutschland." Verzaubert ging sie zu einem Immobilienmakler, sprach mit der Bank und überraschte den ahnungslosen Ken mit ihren Plänen. Sechs Monate später eröffneten sie das "Bryant House". Nur wie man ein B&B führt, davon hatten Brigitte und Ken keine Ahnung. Die Kinder waren entsetzt. "So etwas hast du doch noch nie gemacht", sagten sie. Egal, Brigitte glaubte an sich. "Man muss durchhalten, auch wenn es mal nicht so läuft", sagt sie. Vor allem die ersten Jahre seien hart gewesen. "Aber ich bin immer noch hier."

Überhaupt ist auch der Ort an der sogenannten Forgotten Coast heute längst nicht mehr so vergessen wie einst. Deutlich mehr Touristen kommen, gehen auf Angeltrips, essen Austern und entdecken trotz mancher Veränderungen immer noch ein Stück altes Florida. "Hier ist etwas, was die Leute anzieht", findet Brigitte. Der kleine Hafen, die Fischer- und Austernboote, die freundlichen Menschen, das Familiengefühl. Angst vor Veränderung durch mehr Tourismus hat sie nicht, eher vor Leuten, die viel Geld haben und den Ort verändern wollen.

Das B&B gibt ihr Kraft. Allein die vielen Reisenden aus aller Welt, die sie kennengelernt hat. Wenn sie mal einen Tiefpunkt hat, blättert sie sich durch ihre inzwischen 16 Gästebücher und fühlt sich wieder besser. In Düsseldorf war sie aus gesundheitlichen Gründen seit neun Jahren nicht mehr. Egal: In Apalachicola hat sie ihr Zuhause gefunden. Es ist ihre Wahlheimat, die ihr ans Herz gewachsen ist.

Die Redaktion wurde von Visit Florida zu der Reise eingeladen.

(RP)
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