Die menschliche Klangwolke

Im August starb der Düsseldorfer Elektronik-Pionier Conrad Schnitzler. Die Platten des Soundtüftlers, der mit Tangerine Dream und Kluster musizierte, waren lange vergriffen. Nun bringt ein Berliner Label sie neu heraus – darunter das stilbildende Meisterwerk "Ballet Statique" von 1978.

Nun ist seine Musik endlich wieder lieferbar, das Album "Ballet Statique" etwa. Jahrelang war es vergriffen, auf Plattenbörsen musste man Hunderte Euro für die LP aus dem Jahr 1978 ausgeben, aber eine kleine Plattenfirma aus Berlin legt das Meisterwerk von Conrad Schnitzler jetzt neu auf. Das ist elektronische Musik zwischen New Wave und Techno, und in den fünf Stücken steckt bereits alles, was man heute als up to date bezeichnet: der wuchtige industrielle Sound aus den Berliner Clubs, die Drum-and-Bass-Experimente der jungen Londoner Produzenten.

Der Schöpfer dieser Musik wurde 1937 in Düsseldorf geboren, er starb im August dieses Jahres in Berlin, und zeitlebens galt er als Vordenker des Genres "Electronica". Berühmt wurde er dennoch nie: 1980 hatte er zwar einen kleinen Hit mit dem Stück "Auf dem schwarzen Kanal", aber als er im Plattenvertrag, den RCA ihm damals anbot, die Klausel las, er habe zu Werbezwecken vor Kaufhäusern aufzutreten, zerriss er das Papier.

Maschinenschlosser lernte er, er war Koch bei der Handelsmarine, arbeitete schließlich in der Fabrik. In den 50er Jahren entdeckte er dann die Avantgarde-Musik, er hörte im Radio Stockhausen, Pierre Henry und John Cage, und er spürte, dass er auch so etwas machen wollte. Er sah Bilder von Jackson Pollock, und da war es vollends um ihn geschehen. Er bewarb sich an der Kunstakademie Düsseldorf, wurde aufgenommen und lernte bei Joseph Beuys Bildhauerei.

Ende der 60er Jahre zog er um nach Berlin. Im Souterrain der damaligen Schaubühne (heute Hebbel am Ufer) richtete er das Zodiac ein, den ersten Underground-Club der Stadt, und dort traten die Pioniere der deutschen Krautrock- und Elektronik-Szene auf: Ash Ra Tempel, Klaus Schulze, Tangerine Dream.

Schnitzler experimentierte in dieser Zeit bereits selbst mit Musik, ihm ging es dabei allerdings mehr darum, sinnvolle Geräusche zu finden als schöne Harmonien. "Erzexperimentalist" nennt ihn Julian Cope in "Krautrock-Sampler", seiner berühmten Geschichte des Krautrock, und die atonalen Spielereien ließen Schnitzler zum begehrten Studiopartner werden. Kraftwerk soll er zum ersten Synthesizer verholfen haben, nachdem er sich selbst 1972 in London einen Synthie A gekauft hatte, den frühesten Synthesizer, der einigermaßen erschwinglich und vor allem transportierbar war. Er war Teil des Trios Kluster, von dessen übrigen Mitgliedern Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius er sich indes bald trennte. Die beiden fanden später unter dem Namen Cluster zu einer eingängigeren Form elektronischen Musizierens. Und Schnitzler war an den Aufnahmen zum ersten Tangerine-Dream-Album "Electronic Meditation" beteiligt.

Für ihn war Musik stets an den Akt der Aufführung gebunden. Er malte sich das Gesicht schwarz und weiß an, wenn er seine berühmten Kassetenkonzerte aufführte: Er mischte dann einzelne Töne von verschiedenen Kassetten zu einem neuen Ganzen. Und er erfand die lebende Klangwolke. So schritt er in den 70er Jahren im weißen Lederoverall über den Kudamm, an seinem Gürtel vier an eine Autobatterie angeschlossene Kassettenrekorder. Er mischte die im heimischen Studio selbst eingespielte Musik von den Tonbändern im Gehen zusammen und übertrug den Sound über Lautsprecher, die er an einem Motorradhelm angebracht hatte, für die Passanten.

In den letzten Jahren lebte er zurückgezogen mit seiner Frau in einem Haus bei Berlin. Und dort nahmen Christian Borngräber und Jens Strüver Kontakt zu ihm auf, die Betreiber des Labels M=Minimal. Die beiden waren bereits als 16-Jährige Fans von Schnitzler, hatten ihn sogar angeschrieben, um an Platten zu kommen, die es in Geschäften nicht mehr zu kaufen gab. Nun baten sie ihn um Musik zur Veröffentlichung, und er lieferte das längst vergriffene "Ballet Statique".

Die drei freundeten sich an, und kurz vor Schnitzlers Tod kam noch das Album "Con-Struct" heraus. Es versammelt acht düstere Stücke mit enormem Sog. Borngräber und Strüver haben sie aus Hunderten Tonspuren im Geist Schnitzlers zusammengesetzt. Nach der Veröffentlichung schrieb er eine Email: "Wenn ich mal nicht mehr bin, weiß ich meine Musik in guten Händen", hieß es darin. Tage später starb er an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Sein letztes Werk "Endtime", das Schnitzler in diesem Jahr abgeschlossen hat, erscheint im März 2012 bei M=Minimal.

(RP)
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