Dinslaken Scotland Yard mit Brilli im Ohrläppchen

Dinslaken · Das Gastspiel beschert gediegene Unterhaltung und ein wundervolles Wiedersehen mit Erwin Kleinwechter.

 Martin Semmelrogge spielte den Inspektor Larry Holt – nicht ganz textsicher, dafür aber mit Brilli im Ohr.

Martin Semmelrogge spielte den Inspektor Larry Holt – nicht ganz textsicher, dafür aber mit Brilli im Ohr.

Foto: Fischer

Im September sah man ihn noch beim Promi-Big Brother auf einem Privatsender. Jetzt stand er in Dinslaken auf der Bühne: Martin Semmelrogge, meist unter "komisch" verbucht, ist mit einem Krimiklassiker von Edgar Wallace auf Tournee. Mancher hat "Die toten Augen von London" schon ehedem in passend Schwarz-Weiß (und mit Joachim Fuchsberger in der Hauptrolle als Scotland Yard-Inspektor) gesehen.

Donnerstagabend leuchtet der Vorhang in der (gut gefüllten) Kathrin-Türks Halle denn auch blutrot. Und man lehnt sich in der wohligen Gewissheit zurück, persönlich nicht gefährdet zu sein, obwohl der Abend (mit unerklärter zehnminütiger Verspätung) gleich mal mit einem Mord beginnt, den Burghofbühnen-Veteran Erwin Kleinwechter begeht. Doch zu ihm später. Die Landesbühne Rheinland-Pfalz hat eine überzeugende Ausstattung (Christian Baumgärtel) im Gepäck, die von der U-Bahn-Station (mit klassischem Logo) über Scotland Yard und einen Friedhof so ziemlich alles abdecken kann. Auch die Kostüme sind stilecht. Gute Voraussetzungen also für einen gelingenden Abend.

Die Nebel wallen und Big Ben schlägt uns die Stunde, während sich die Story an geheimnisvollen Todesfällen reicher alleinstehender Männer entlang entwickelt, die von einer Bande scheinbar (?) blinder Schurken um Leben und Vermögen gebracht werden. Inspektor Larry Holt (nicht ganz textsicher: Martin Semmelrogge) und seine adrette Assistentin Diana Ward (etwas hölzern: Anna Bergman) gehen Spuren nach, entwerfen Theorien und fügen Stück für Stück, einem Puzzle gleich, zueinander. Sind alle so unschuldig, wie sie tun? Mrs. Fitzgerald (starke Momente von Ursula B. Kannegießer mit eindrucksvoll gespielter Verzweiflung) scheint mehr zu sein als nur ein Unfallopfer. Nach der Pause häufen sich die (von etwas schlapper Tontechnik eingespielten) Schüsse hinter der Bühne und wird auch die Dramaturgie unglaubwürdig (arg viele Zufälle spielen Scotland Yard in die Hände). Aber immerhin zieht das Tempo an. Dustin Semmelrogge zeigt als Flimmer Fred einen echt schmierigen Kleinkriminellen so ganz nach unserem Geschmack. Oder sollten wir sagen: Klischee? Auch Komisches findet jetzt seinen Platz (Sie: "Der Tee schmeckt ein bisschen nach Kaffee." Er: "Es ist Kaffee.") So funktioniert der Abend doch ganz ordentlich.

Theaterintendanten meiden Krimis, denn sie gelten mittlerweile als Kassengift. Als sich die große Theaterlegende und Gründgens-Kombattantin Elisabeth Flickenschildt (auch sie fand mal auf Tournee den Weg in Dinslakens Burgtheater!) in den 1970er Jahren gezwungen sah, im ehrwürdigen Hamburger Schauspielhaus in einem Wallace-Krimi aufzutreten, empfand sie das fast als Beleidigung. Semmelrogge scheint da weniger Skrupel zu haben. Er ist aber auch meilenweit von großer Schauspielkunst entfernt. Sein Text wirkt stellenweise wie aufgesagt. Auch wird kein Londoner Kriminalbeamter in den 1960ern einen Brilli im Ohrläppchen getragen haben. Darf der "Star" des Abends sich derlei wirklich erlauben? Hinter der Bühne kläfft immer mal ein Hündchen. Derlei holt den Zuschauer immer wieder in die Wirklichkeit zurück. Sonst täte das spätestens der unerträgliche Gestank auf den Herren-Toiletten der einstmals schmucken Halle. Oder soll mit derlei Reality-Ambiente gegen die Themse angestunken werden?

Abgesehen von all dem aber bringt der Abend ein Wiedersehen mit dem eingangs Erwin Kleinwechter, den Dinslakens Theaterfreunde in zwölf Jahren sattem Bühnentreiben kennen und schätzen gelernt haben. Er bekommt nach zwei Stunden einen großen Extrabeifall. Nicht zuletzt weil er — als blinder Jake mit beängstigendem Diskant, genauso wie als Totengräber mit Stulle — zwei echte Kabinettstückchen abliefert.

(RP)
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