Düsseldorfer Geschichte Düsseldorf - Heimat für Existenzgründer

Düsseldorf · Junge Unternehmer bieten ein kostenloses E-Book oder liefern Zutaten fürs Abendessen. 7000 Firmen werden jedes Jahr gegründet.

 Susanna und Peter Wiedeking haben "Abendtüte" gegründet.

Susanna und Peter Wiedeking haben "Abendtüte" gegründet.

Foto: Endermann

Sie mischen gerade den Buchmarkt auf. Wollen die Zukunft der Branche noch mal neu buchstabieren: Vor wenigen Monaten wurde in Düsseldorf das junge Unternehmen "Readfy" gegründet, das im Juli das erste kostenlose E-Book auf den Markt bringen will. Die drei Macher sprechen von einer Weltneuheit und konnten überraschend viele Unterstützer mobilisieren: In kurzer Zeit haben 1300 Privatleute in das Unternehmen investiert. Und Düsseldorf machte mal wieder bundesweit als Gründer-Metropole von sich reden.

 Die Gründer von "1. Mover" (v.l.) Martin Scheppe, Peter Hornik und Klemens Gaida

Die Gründer von "1. Mover" (v.l.) Martin Scheppe, Peter Hornik und Klemens Gaida

Foto: Andreas Bretz

"Wer Talent hat, sollte sein eigener Chef sein", steht auf einer Broschüre des Düsseldorfer Gründernetzwerks. Unter seinem Dach finden sich alle, die dem Unternehmer in spe auf die Sprünge helfen: die städtischen Wirtschaftsförderer und die Arbeitsagentur, Banken und Hochschulen, Wirtschaftssenioren- und -junioren, Handwerkskammer und IHK. Die berichtet in ihrem aktuellen Report, dass 2013 exakt 7097 Firmen in Düsseldorf gegründet wurden - vom Frühstücks-Café bis zur Konzern-Filiale.

Doch der Wunsch nach beruflicher Unabhängigkeit trübt gelegentlich das realistische Einschätzungsvermögen: Jedes zweite neu gegründete Unternehmen überlebt die ersten fünf Jahre nicht. Nikolaus Pfaffenholz, Abteilungsleiter der IHK, rät deshalb zu gründlicher Vorbereitung: "Gründer haben uns berichtet, dass dadurch Schwierigkeiten deutlich reduziert werden." Schon deshalb, weil sich viele Anfänger-Fehler - wie zu geringe Geldreserven - vermeiden ließen.

Das Führungs-Team von "Readfy" hat die Zeit der Planung längst hinter sich. "Wir sind jetzt in der Test-Phase", meint Frank Großklaus, zuständig für Marketing und Vertrieb. Zurzeit erproben 5000 Nutzer das neue Geschäftsmodell: Sie können eine App auf ihr Smartphone oder Tablet laden und haben darüber kostenlosen Zugriff auf 15 000 Buchtitel von 120 Verlagen. Bis zum Jahresende sollen 30 000 Titel verfügbar sein. Finanziert werden die Bücher über Werbung, die alle paar Seiten eingeblendet wird und den Lesefluss unterbricht.

Viele dieser Tester gingen noch einen Schritt weiter und wurden Finanziers des Unternehmens. Über eine Internetplattform suchten die "Readfy"-Gründer vor einigen Wochen Investoren - innerhalb von 24 Stunden kamen 100 000 Euro zusammen, nach sechs Wochen hatten 1300 Leser insgesamt eine halbe Million Euro investiert. Manche waren mit 15 000 Euro dabei, andere stiegen mit der Mindestsumme ein: fünf Euro. Großklaus: "Für uns ein klares Indiz, dass die Internetgemeinde an unseren Erfolg glaubt."

Und nicht nur die: Begleitet wird "Readfy" auch von einem Unternehmen, zu dessen Geschäftsmodell es gehört, an andere zu glauben und sie auf ihrem Weg zu unterstützen - mit Geld, Wissen, Kontakten. Inkubator werden Unternehmen wie "1.Mover" genannt, sie verstehen sich als eine Art Brutkasten für Branchen-Neulinge. Alle vier Gründer des Unternehmens waren vorher in Management-Positionen großer Konzerne tätig. Aber offenbar steckte in ihnen neben Unternehmergeist auch eine gute Portion Abenteuerlust. "Wir investieren unser privates Geld in unsere Firma", so Klemens Gaida, Mit-Geschäftsführer von "1. Mover."

Welches Profil müssen Firmen für den Brutkasten mitbringen? Gaida: "Wir suchen Unternehmer mit Persönlichkeit und schauen uns an, wie sie ihre Idee einem Kunden präsentieren würden." Auch ein erster Businessplan wird von Bewerbern erwartet, dazu Ideen, wie das künftige Unternehmen im Wettbewerb bestehen, wie der Vertrieb funktionieren könnte. "Wenn das Konzept vielversprechend ist, steigen wir ein", so Gaida. Das bedeutet: Dem Gründer werden Räume für den Start "zu einer sehr günstigen Miete" geboten, Kontakte zu Steuerberatern und Juristen vermittelt, außerdem helfen die Manager bei der Entwicklung einer Strategie - und vor allem: Sie investieren Geld. "Wir stecken in mehreren Etappen bis zu 100 000 Euro in ein junges Unternehmen."

Das sei durchaus mit großen Risiken verbunden, denn trotz intensiver Betreuung schafft es längst nicht jedes Unternehmen, sich am Markt zu behaupten. Gaida: "Dann ist unser Geld futsch." Wenn es aber gut läuft, sollen die Investitionen nach etwa fünf Jahren zurückfließen - mit Gewinn. Der richtige Zeitpunkt sei gekommen, wenn die Firma, die einst im Brutkasten betreut wurde, flügge geworden ist und an ein großes Unternehmen verkauft wird oder an die Börse geht.

Geld auf Internet-Plattformen zu sammeln oder von einem so genannten Inkubator zu bekommen, sind neue Finanzierungsmodelle. "Sie wären vor ein paar Jahren noch nicht denkbar gewesen", sagt Eva Lutz, Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Uni, mit Schwerpunkt Unternehmens-Finanzierung. Sie ist außerdem strategischer Kopf von "CEDUS", dem Gründungszentrum der Uni. In einer Ringvorlesung ("Von der Idee zur Gründung") bietet sie das Basiswissen, das auch Mediziner oder Geisteswissenschaftler für ihre Selbstständigkeit brauchen: Was ist ein Businessplan oder eine Bilanz? Welche Rechtsformen sind möglich?

Jedenfalls wächst jedes Jahr die Zahl der Mutigen, die gleich nach dem Examen die Selbstständigkeit wagen. Wie die Gründer von "Sprechreif - Institut für Stimme und Persönlichkeit", das seit einem Jahr existiert. "Sie kennen das: Sie haben sich tagelang vorbereitet, haben alle Fakten im Kopf. Dann stehen Sie vor ihrem Publikum, verhaspeln sich, der Faden reißt, die Stimme versagt", schildert Frank Enders einen typischen Redner-Alptraum. Gemeinsam mit seiner Kollegin Anuschka Buchholz will er mit "Sprechreif" mehr als ein Rhetorik-Training bieten. "Wir analysieren Situationen, in denen alles schief läuft. Und finden heraus, was eine gute Selbst-Präsentation bisher verhindert hat."

Das Team versichert, wissenschaftliche Erkenntnisse über eine gesunde Stimme und Körpersprache in die Praxis zu transportieren. "Wir zeigen Menschen, wie sie Lampenfieber bewältigen", denn für viele Redner sei es nun mal schwierig, im Mittelpunkt zu stehen." Und was macht eine gelungene Rede aus? "Wenn man versucht, mit den Zuhörern eine Art Dialog zu führen. Dazu könnte man schlicht in die Runde fragen: Geht Ihnen das auch so?" Schon fühle sich der Redner nicht mehr so einsam. Das Düsseldorfer Gründernetzwerk ist jedenfalls vom "Sprechreif"-Konzept überzeugt und ernannte das Institut im Januar zum "Unternehmen des Monats."

Flexibel auf die Wünsche und Bedürfnisse von Kunden einzugehen, kann die große Stärke kleiner Firmen sein. Susanne und Peter Wiedeking packen jeden Tag "Die Abendtüte."

Die Idee: Berufstätige rufen bis 12 Uhr in dem Familienbetrieb an, geben ihre Bestellung durch, und zwischen 16 und 20 Uhr wird ihnen eine komplett gepackte Tüte mit allen Zutaten fürs Abendessen inklusive Rezept frei Haus geliefert. "Am Anfang haben wir geglaubt, das werden vor allem Singles in Anspruch nehmen", berichtet Peter Wiedeking. Aber nun lassen sich auch immer mehr Paare und Familien Leckeres in die Tüte packen, die zwar Lust zum Kochen, aber keine Zeit zum Einkaufen haben.

Die meisten Zutaten, berichtet Peter Wiedeking, stammen von kleinen Bauernhöfen aus der Region, oder werden von einem Biomarkt und einem Metzger aus Gerresheim geliefert - "wir garantieren maximale Frische." Die Kunden genießen ihre Abendtüten auch deshalb, weil alles so portioniert ist, dass nichts übrig bleibt. Ob nun ein Stück vom Kürbis oder ein Tütchen mit orientalischen Gewürzen gebraucht wird. Und die Anleitungen überfordern selbst Anfänger am Herd nicht. Wohl auch deshalb ist "Die Abendtüte" längst ein Erfolgsrezept - und eine Firmengründung mit Zukunftspotential.

(RP)
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