Interview mit Sabine Rau Nicht alle Trauernden wollen reden

Düsseldorf · Die Diplom-Psychologin leitet die notfallpsychologische Betreuung in Düsseldorf und koordiniert die Hilfe für die Angehörigen der Absturzopfer von Flug 4U 9525. Das Angebot muss dabei für die jeweilige Person stimmig sein, sagt sie.

 Sabine Rau will den Angehörigen der Opfer einen gesunden Umgang mit ihrer Trauer ermöglichen.

Sabine Rau will den Angehörigen der Opfer einen gesunden Umgang mit ihrer Trauer ermöglichen.

Foto: Schaller,Bernd

Etwa 50 Angehörige ließen sich am Tag des Absturzes am Flughafen betreuen. Wie funktioniert die Nachbetreuung im privaten Raum?

Sabine Rau Bedarf gibt es auch zu Hause. Wir müssen sehen, wo wir angemessene Hilfe leisten können. Das heißt natürlich, dass wir uns bewegen und die Menschen auf Wunsch auch in ihrer eigenen Wohnung aufsuchen. Das sind Orte, an denen sie sich wohlfühlen, viele ziehen deshalb den Kontakt in ihren eigenen vier Wänden vor.

Können die traumatisierten Angehörigen eine Woche nach dem Unglück schon mit der Aufarbeitung der Ereignisse beginnen?

Rau Wir sprechen von extrem belasteten Menschen. Der Begriff "Traumatisierung" wird zwar auch von Opfern oft gebraucht, unterliegt aber im fachlichen Sinne einer sehr engen Definition. Es ist für alle Angehörigen ein kritisches Lebensereignis. Der Punkt, an dem man mit der Bewältigung beginnen kann, wird bei den Betroffenen zu ganz unterschiedlichen Zeiten erreicht. Es gibt Menschen, die sind schon dabei. Andere empfinden durch den Verlust noch eine Betäubung und Verzweiflung, die ersten Phasen der Trauer.

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Wie unterstützt man Menschen überhaupt bei der Bewältigung eines solchen Verlustes?

Rau Die menschliche Psyche stellt die Mittel selbst zur Verfügung. Ein wichtiger Schritt ist getan, wenn die Identifizierung der Opfer durch die Polizei abgeschlossen ist. Das kann aber noch Monate dauern. Der Mensch ist so angelegt, dass der Abschied leichter fällt, wenn er etwas hat, von dem er sich verabschieden kann. Bis dahin spielt das Prinzip Hoffnung eine große Rolle. Solange die Angehörigen warten müssen, ist die Verarbeitung der Ereignisse gelähmt.

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Foto: Polizei D�sseldorf

Gibt es auch für Angehörige, die die Betreuung durch einen Psychologen strikt ablehnen?

Rau Es gibt Menschen, die das Gespräch suchen und andere, die sich zurücknehmen. Das Angebot der psychologischen Betreuung muss passen, es muss für die einzelne Person stimmig sein. Wenn ein Angehöriger zum Beispiel nicht schlafen kann, dann empfehlen wir unter Umständen ein geringeres Schlafmaß, um den Schlafdruck zu nutzen, den der Körper aufbaut. Strukturell gesehen steht unsere Arbeit zwischen der Betreuung direkt nach dem Schadensfall und der langfristigen Nachbetreuung durch die Krankenkasse. Unser Ziel ist es, einen gesunden Umgang mit der Trauer zu ermöglichen. Wir sind aber nicht der erste Ansprechpartner, das ist immer die Familie.

Die Medien sehen sich derzeit dem Vorwurf ausgesetzt, Angehörige bei der Bewältigung des Unglücks zu behindern. Wo sehen Sie konkreten Verbesserungsbedarf?

Rau So, wie man selbst behandelt werden möchte, sollte man auch andere behandeln. Journalisten sollten sich der Konsequenzen bewusst sein, die die Art ihrer Berichterstattung für die Angehörigen hat. Diese brauchen einen geschützten Raum zum Trauern. Es ist nicht förderlich, wenn eine Kamera auf ihr Leid gehalten wird. Auf der anderen Seite ist für einige der Betroffenen das Gespräch mit der Presse auch ein Teil der Bewältigung. Es muss einfach ein sensibler, verständnisvoller Umgang herrschen, damit sich die Angehörigen nicht verfolgt fühlen. Jeder Mensch kann zumindest einen Teil des Verlustes nachempfinden, wenn er in seinem Leben einen wertvollen Menschen verloren hat.

OLIVER BURWIG FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(bur)
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