Düsseldorf "Im Theater soll die Decke wegfliegen"

Düsseldorf · In der Neuinszenierung von "März, ein Künstlerleben" spielt Jakob Schneider die Rolle des scheinbar verrückten Dichters.

Er probte gerade für Claus Peymanns Inszenierung "Kafkas Prozess" im Berliner Ensemble, als der überraschende Anruf von Günther Beelitz kam. Ob er ans Düsseldorfer Schauspielhaus wolle? Aber sofort! Die Zeit des Umbruchs und der Unsicherheit schreckte Jakob Schneider nicht ab. "Mich reizte die Herausforderung", sagt er, "ich wollte mithelfen, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Eine schwierige Sache."

Mit der Titelrolle in "März, ein Künstlerleben" spielt er nach dem Orest in "Iphigenie auf Tauris" und mehreren Figuren in "Kreise/Visionen" sein drittes Stück, Premiere ist am kommenden Freitag im Kleinen Haus. Uraufgeführt wurde Heinar Kipphardts Drama 1980 in Düsseldorf, Regie führten damals Roberto Ciulli und Helmut Schäfer. Es beruht auf einer wahren Begebenheit: Der Dichter Alexander März (Vorbild ist der schizophrene Autor Ernst Herbeck) wird für verrückt erklärt und in eine psychiatrische Klinik abgeschoben. "Dort saß er unvorstellbare 40 Jahre", entsetzt sich Jakob Schäfer. "Sein Arzt riet ihm zu, seine Empfindungen niederzuschreiben. Schizophrenie, diese furchtbare, zutiefst quälende Krankheit, ermöglichte dem Dichter Momente der scharfen, hellsichtigen Wahrnehmung. Auf kurze Schaffensphasen folgten jedoch lange Zeiten des Dahindämmerns."

Was für ein Mensch ist dieser März? "Einer, der liebt und einer, der scheitert", sagt Schneider. Sein Wesen lässt sich kaum in Worte fassen. Dazu müsste ich wissen, was ich selbst für ein Mensch bin. Ich werde in dieser Rolle ja zu ihm sagen. Dafür tue ich alles." Jedes Mal verschmilzt der Schauspieler mit seinen Figuren. "Ich weiß, dass ich tief in mir buddeln und viel aus mir schöpfen kann. Den März möchte ich so spielen, dass im Theater die Decke wegfliegt."

Künstler wollte er schon immer werden. Nichts anderes kam in Frage. Zuerst sollte es die Malerei sein. Wie er dann zum Theater fand, sei eine "wirre Geschichte", erzählt Jakob Schneider. Es begann damit, dass er Götz George als Massenmörder Haarmann im Fernsehfilm "Der Totmacher" sah. "Ich saß auf der Couch und dachte, das muss aber ein toller Beruf sein. Wenn ein Schauspieler es schaffen kann, sich so zu verwandeln wie er, dann will ich auch einer werden." Der Wunsch war da, umgesetzt wurde er erst nach einem Umweg über die bildende Kunst, die er heute nicht mehr pflegt: "Beides geht nicht, jedenfalls nicht bei mir."

Ohne Ausbildung an einer Schauspielschule wurde er als Eleve am Dortmunder Theater aufgenommen. "Ich hatte das Glück, gefördert zu werden", sagt er. "Ein gute Schule. Hart, anstrengend, wunderschön." Zum ersten Mal spürte er den Geist eines Ensembles. Und die Verwunderung über die eigenen Fähigkeiten: "Das langsame Herausschälen eines Charakters ist ein herrliches Erleben. Man stellt sich zur Verfügung für eine Gestalt, für Worte, die ein Dichter ersonnen hat und die man zu seinen eigenen macht. Man betrachtet, was man gemacht hat und fühlt für einige Augenblicke eine kostbare Selbstvergessenheit." Schauspieler versuchten andauernd, ein Kamel durchs Nadelöhr zu fädeln, sagt er. "Eigentlich geht es nicht. Gelingt es trotzdem, entfaltet sich ein seltener Zauber." Und wie berührend, wenn er dann noch die Freude hätte, zu entdecken, dass die Magie in einem satten, heftigen Erleben auf die Zuschauer überspringt! Beides ist ihm gleichermaßen wertvoll, wichtig.

Auch in Düsseldorf darf der 37-Jährige magische Momente auskosten. Er schwärmt von seinem verstörenden Ritter-Monolog in Joel Pommerats "Kreise/Visionen". Einhellig gelobt von der Kritik, mangelt es diesem fabelhaften Abend an Zuschauern. "Es ist so traurig", bedauert Jakob Schäfer. "Wir auf der Bühne erschrecken immer, wenn das Licht angeht. Dabei haben wir so viel Spaß daran und schmeißen uns richtig rein. Schade, dass sich nicht mehr Menschen auf diese spannende Zeitreise einlassen."

Wie fühlt sich der Neuankömmling in Düsseldorf? "Als Berliner?" fragt Jakob Schäfer zurück. "Fremd." Dann korrigiert er sich. "Die Stadt und ich, wir lernen uns gerade erst kennen. Mein Heimweh kompensiere ich im Schauspielhaus, wo ich nur von lieben Menschen umgeben bin, den Kollegen, den ganzen Gewerken. Ich mag das gesamte Ding. Es würde mir genügen, wenn ich in einer Ecke des Theaters ein Bett und einen Schrank stehen hätte. Dort könnte ich wohnen und würde nichts vermissen."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort