Geldern Vor 100 Jahren: Kriegsbeginn in Geldern

Geldern · Ein Tagebuch schildert die Mobilmachung in Geldern zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Exakt heute vor 100 Jahren fährt der Offizier Eberhard von Bodenhausen aus Essen in die Herzogstadt, um Pferde fürs Militär zu beschlagnahmen.

 Eberhard von Bodenhausen.

Eberhard von Bodenhausen.

Foto: Krupp-Archiv

Am 2. August 1914, dem ersten Tag der Mobilmachung, begibt sich Eberhard von Bodenhausen, bei Kriegsausbruch Aufsichtsratsmitglied der Krupp-AG, "im offenen Auto" von Essen nach Geldern, wo er fortan für die Pferdeaushebung verantwortlich zeichnet. Ihm obliegt neben der Musterung des Bestandes auch die Zuführung kriegsbrauchbarer Tiere an das Heer. Seine Erlebnisse und Gedanken notiert er in ein Tagebuch, das im Deutschen Literaturarchiv Marbach überliefert ist und aus dem hier zitiert wird. Auf der Fahrt sind unterschiedliche Verhaltensweisen in der Bevölkerung zu beobachten: Während im Ruhrgebiet "keinerlei Teilnahme" stattfindet, zeigen sich am Niederrhein "lebhafte Freudenkundgebungen" beim Anblick der Uniform. Die Ankunft in Geldern gestaltet sich "schon ganz kriegsmässig". Kurz nach seinem Eintreffen wird von Bodenhausen darüber unterrichtet, dass mutmaßliche "französische Offiziere in preussischer Uniform" den Versuch unternommen haben, auf Motorrädern die Grenze zu passieren. Im Hotel Dahlhausen ("leidliche Unterkunft") kursieren derweil unbestätigte Nachrichten über Schusswechsel auf holländischem Gebiet.

Die zahlreichen Spekulationen sorgen für Unruhe: So wird der Pferdeaushebungskommissar, als er einen Abendspaziergang unternimmt, in der Annahme, er sei ein Spion, festgenommen. Da von Bodenhausen seinen Mobilmachungsbefehl nicht bei sich führt, begleitet ihn der wachthabende Offizier "unter dem Gefolge einer zu hunderten angewachsenen Volksmenge bis zum Hotel", wo er sich schließlich legitimieren kann. Im Rahmen der Aushebung, die am nächsten Tag "in einer schönen Ulmenallee, einer der Hauptpromenaden der Stadt am Issumer Tor", beginnt, sind "über 500 Pferde eingehend zu besichtigen". Entgegen den Erwartungen verläuft die Inspektion "ohne irgendwelche nennenswerte Reibung" und "unter der denkbar größten Ruhe". Vor allem das disziplinierte Auftreten der Bauern, welchen meist nur ein Pferd erhalten bleibt, nötigt Respekt ab: "Die Betroffenen zuckten die Achsel und sagten nur: Wenn es sein muss, dann muss es eben sein."

Geldern, das zu diesem Zeitpunkt circa 6000 Einwohner zählt, beherbergt am dritten Mobilmachungstag 5000 Soldaten - ein Zustand, der nach Auskunft des Bezirkskommandos jedoch keine "einzige Schwierigkeit" hervorruft. Hingegen ist in der Stadt eine unerschütterliche "Gewissheit des Sieges" spürbar, die insbesondere neu ankommende Einheiten wirkungsvoll demonstrieren: Sie stellen sich vor dem Kaiserdenkmal "in Reih' und Glied auf, nahmen die Hüte ab, sangen ;Heil Dir im Siegerkranz' und brachten dann ein Hoch auf den Kaiser aus." Wie umfassend die Mobilmachung in den ersten Kriegstagen voranschreitet, macht ein Ereignis im Tagebuch sichtbar: An einem Bahnübergang unterhält sich von Bodenhausen, der die Kriegsbegeisterung zunächst unumwunden teilt, mit Ulanen, die, so seine Vermutung, aus Düsseldorf stammen. Als diese klarstellen, "sie seien am vergangenen Morgen in Pommern abgefahren", ist der gebürtige Wiesbadener ob der "geradezu gigantischen" Mobilmachungs-Organisation, die in so kurzer Zeit "zwei kriegsstarke Kavallerie-Regimenter 500 Kilometer weit zu transportieren" vermag, nachhaltig beeindruckt. Die Begebenheit spricht sich schnell herum und schon bald steht "alles unter dem Eindruck einer ganz großartigen Leistung, die keine Nation uns nachmachen kann und auf allen Lippen lag es: ,Lieb Vaterland, magst ruhig sein'".

Dann schließt er mit den Sätzen: "Die Tage waren sehr anstrengend, besonders darum, weil sehr wenig Schlafmöglichkeit gegeben war, bei dem unausgesetzten Lärm und dem Durchzug der Soldaten auf der Straße von früh 4 Uhr ab. Aber es sind Tage, die ich für mein ganzes Leben nicht vergessen werde. Immer wieder sagt man sich und es wurde von allen Seiten ausgesprochen, dass ein Volk, das so aufsteht, vollkommen unbesiegbar ist." Doch es sollte anders kommen. Bereits im Oktober 1914 schreibt Eberhard von Bodenhausen deutliche Spuren hinterlassen: "Die Signatur meines Wesens seit Ausbruch des Krieges ist nicht Vitalität, sondern Müdigkeit." Er stirbt am 6. Mai 1918 mit 49 Jahren an einer Hirnverletzung.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort