Hückelhoven Heimat Hückelhoven rettet ein Soldatenleben

Ähnliche Lebenswege wie die der Samlands beschreiben die Bücher des Hückelhovener Projekts "Stadtwandel", die unter dem Titel "Wir konnten keine großen Sprünge machen" das Leben in den Bergarbeitersiedlungen aufzeigen. Dort lebten Arbeitsimmigranten aus vielen deutschen Regionen und später aus dem Ausland seit den 1920er Jahren zusammen - Fremde, die hier gemeinsam eine neue Heimat fanden. Darunter Elfriede Dorsch, die in Hinterpommern an der Ostsee, heute Polen, lebte, und ihren aus Hückelhoven stammenden Mann zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Flucht Richtung Westen kennengelernt hatte. Polnische Grenzer wollten ihn nicht passieren lassen, da sie vermuteten, dass er Soldat war, er leugnete das, sie glaubten ihm nicht, drohten sogar mit Erschießung. Schließlich fragten sie ihn, wohin er den wolle, er antwortete: "Ich will nach Hückelhoven, das ist meine Heimat." Ein Grenzer fragte ihn: "Können Sie mir denn auch sagen, was in Hückelhoven ist?" Hans Dorsch gab eine Beschreibung seiner Heimatgemeinde einschließlich des Bergwerks Sophia-Jacoba. Der Grenzsoldat antwortete: "Das ist Ihr Glück. Da habe ich gearbeitet. Dann dürfen Sie gehen!"

In den Steinkohlenzechen war die Fluktuation unter den Bergleuten aufgrund der Arbeitsbedingungen groß. In Hückelhoven begannen bei Sophia-Jacoba über Jahrzehnte hin jährlich 2000 Bergleute neu - 1800 davon verließen das Unternehmen im gleichen Jahr wieder. So war ein ständiges Kommen und Gehen auch in der Bevölkerung, da viele der Neu-Bergleute ihre Familien mitbrachten. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden in Hückelhoven zahllose Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten neue Arbeit und eine neue Heimat. Und ab Beginn der 1960er Jahre vor allem Bergleute aus Spanien und der Türkei, die zu fast 100 Prozent nach Schließung der Zeche vor 18 Jahren hiergeblieben sind. Auch für sie ist die neue Heimat die alte geworden.

Nicht vergessen werden dürfen die in der Nazizeit, vor allem ab Kriegsjahr 1942, zur Arbeit bei Sophia-Jacoba gepressten Ausländer, deren Anteil 1944 ein Drittel der Belegschaft ausmachte. Dabei handelte es sich um Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus den eroberten Ländern. Die hätten sicher gern auf ihre "neue Heimat" verzichtet. Im April 1943 beschäftigte SJ 302 "Grenzgänger", vorwiegend aus den Niederlanden. Dazu kamen 220 Franzosen, 153 Polen, 666 Russen und 38 Kroaten. Zu dieser Zahl 1379 kamen bis März 1944 noch 393 Polen und 243 Italiener hinzu, so dass ein Höchststand von 2015 Zwangsarbeitern erreicht war. Vor allem die Russen wurden als minderwertige Rasse behandelt, mussten teils in Erdlöchern hausen, schwer unter Tage arbeiten bei erbärmlichen Essensrationen. Schikaniert von Vorgesetzten und Kollegen, aber auch von Bergleuten heimlich mit Nahrung versorgt. Auch Kinder aus den Umgebungen ihrer Wohnlager brachten Butterbrote und erhielten von den Russen selbstgefertigtes Spielzeug.

(isp)
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