Kevelaer Kevelaer mit anderen Sinnen erlebt

Kevelaer · Die Stadt bietet besondere Rundgänge für die Bürger an. Beim Auftakt am Samstag ging um die Frage, wie barrierefrei und behindertengerecht die Stadt ist. Am Nachmittag hatten die Gäste das Thema "Einzelhandel" im Blick.

 Bei dem Rundgang stellten die Teilnehmer auch fest, dass die Innenstadtkarte für Rollstuhlfahrer zu hoch hängt, nachmittag ging es um die Kevelaer Geschäftswelt.

Bei dem Rundgang stellten die Teilnehmer auch fest, dass die Innenstadtkarte für Rollstuhlfahrer zu hoch hängt, nachmittag ging es um die Kevelaer Geschäftswelt.

Foto: thomas BiNN

Für den kurzzeitig blinden Fritz Kassing wurde die Überquerung der Gelderner Straße in Kevelaer plötzlich brenzlig. Am Friedhofseingang tastete der 16-Jährige sich per Blindenstock vorsichtig über den fehlenden Bordsteinrand vor. Sein Ziel: der Bahnhof. Doch so weit kam er gar nicht allein. Zum Schrecken der Beobachter befand sich der junge Mann mitten auf der Fahrbahn, musste von Begleiter Patrick Dohmen regelrecht "aus dem Verkehr" geführt werden.

Die Stadt Kevelaer mit anderen Sinnen erleben? So erging es der Gruppe, die sich zum "anderen" Spaziergang unter Führung von Monika Agata-Linke traf. Helmut Hardt von der Ingenieurgesellschaft Stadtumbau begleitete die Bürger. Und Patrick Dohmen, Geschäftsführer vom Euregio Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit, hatte zum Erleben von "Barrierefreiheit, Komfort und Sicherheit" das mobile Sense-Programm gepackt. Etwa Spezialbrillen, die Sichteinschränkungen simulieren, Schuhe, die eine altersbedingte Gehunsicherheit nachahmen. "Sensibilisieren geht am besten über Selbsterfahren", regte die Beraterin Agata-Linke an.

Kevelaer: Kevelaer mit anderen Sinnen erlebt
Foto: Thomas Binn (binn)

Für die junge Eva Görke aus Kevelaer gehört der Rollstuhl zum Alltag. Gemeinsam mit Mutter Heike berichtete sie von Problemen: "Über die Hauptstraße rolle ich wegen des Pflasters nur, wenn ich muss. Auf dem Friedhof erschwert lockerer Kies das Fahren zwischen den Gräbern."

Am Bahnhof demonstrierte Patrick Dohmen, warum die Rampe zwischen den Bahnsteigen eine Ruheplattform benötigt. Rillenplatten und fehlende Noppenplatten, die sehbehinderten Menschen eine Richtungsänderung signalisieren, charakterisierte Dohmen als "Mosaikgestaltung von Pflasterarbeiten", jedoch nicht als behindertengerecht: "Gut gemeint ist nicht durchdacht." Nicht besucherfreundlich sei auch der Stadtplan Kevelaers, weil zu hoch für Rollstuhlfahrer und in zu kleiner Schrift.

Für den Kapellenplatz hätte es nach den strengen Richtlinien auch keine Zertifizierung als behindertenfreundliche Stadt gegeben. "Hier muss noch viel verändert werden. Unsere Vorgaben sind streng, und es gibt nur wenige Städte in Deutschland, zum Beispiel Erfurt, die diese erreicht haben", gab Dohmen Kevelaer mit auf den Weg.

Im Stadtkern bewegten sich nachmittags die Interessierten zum Thema Einzelhandel. Experte und Einzelhändler Markus Kaenders sowie Helmut Hardt erläuterten noch einmal, dass für künftige Bauprojekte nur im schlüssigen Gesamtkonzept Gelder aus den Fördertöpfen zu erwarten seien. Am Beispiel der Bahnstraße mit seiner Mischung aus Geschäften und Durchfahrtsstraße erklärte Kaenders die Bedeutung des Straßenzugs. Allgemein fehle im Ort, so Kaenders ein kollektiver Internetauftritt und Werbung sowie ein Parkleitsystem. Beim "Bummel" durch die Hauptstraße regte Kaenders an, einmal die Devotionalien-Läden auszublenden. Architekt Hardt beschrieb zudem, dass die Aufenthaltsqualität und das Flanieren durch Kevelaer als Einkaufszentrum viel Potenzial besitze.

Eher im Bedeutungswandel befinde sich die Amsterdamer Straße. Die Straße verliere nach wenigen Metern vom Zentrum schnell an Reiz zum Bummeln.

"Der Kunde ist gnadenlos", verwies Markus Kaenders auf die Luxemburger Galerie (LuGa). "Ein hoffnungsvoller Start der LuGa, danach unterbrochen", filterte der Städteplaner den "Geburtsfehler" heraus, dass die LuGa nicht zwischen zwei attraktiven Straßenzügen wie Busmann- und Hauptstraße in einen Rundgang integriert wurde. Einen Wandel in der LuGa könne Hardt perspektivisch in Richtung Gesundheitsangebote nachvollziehen.

(RP)
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