Parookaville-Festival in Weeze Techno in der Albtraum-Fabrik

Weeze · Zum Musikfestival "Parookaville" kamen am Wochenende 50.000 Menschen ins niederrheinische Weeze. Unser Autor fragt sich: Warum bloß?

Parookaville 2016 - der erste Festivalabend in Bildern
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Der erste Festivalabend in Bildern

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Foto: Gerhard Seybert

Um halb zehn ist endlich Ruhe. Denn da schrauben sie auf der Hauptbühne die Bässe raus und bitten darum, dass sich nun alle einmal hinsetzen mögen. Zehn- bis zwanzigtausend Menschen mögen das sein, die nun sitzen, es ist überall voll. Fünf Sekunden später donnert's, der Bass kehrt zurück, es gibt jetzt kein Halten mehr. Absprung in die letzte Nacht von Weeze.

Am Wochenende ging dort das "Parookaville"-Festival über die Bühnen, 50.000 Menschen sind in die 10.000-Einwohner-Gemeinde am Niederrhein gekommen, für mehr als hundert Discjockeys, für die Kirche, das Postamt und die Knast-Kulisse. Im Gefängnis, das keines ist, kann man sich hinter Gitterstäben die Haare auf drei Millimeter scheren und das Logo des Festivals auf die Wade tätowieren lassen. 30 Euro kostet das. Macht doch keiner — denkt, wer sich halbwegs bei Verstand fühlt —, geht ja nie wieder weg. Doch die Schlange an der Anmeldung ist lang, da wo die Einverständniserklärungen ausgegeben werden. Man muss unterschreiben, dass man bei Sinnen ist.

Parookaville 2016: Impressionen vom zweiten Tag
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Parookaville 2016: Impressionen vom zweiten Tag

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Foto: Gerhard Seybert

Das "Parookaville" ist in NRW etwas Besonderes - ein solches Musikfestival gab es bis vor kurzem in der Region bislang noch nicht. Und der Erfolg ist messbar: die Veranstaltung wächst rasend schnell. 25.000 Menschen kamen zur Premiere im vergangenen Jahr, nun wurde die Kapazität verdoppelt. Trotzdem meldeten die Veranstalter, die vor fünf Jahren mit Beach-Partys auf dem Weezer Rathausplatz anfingen, wieder: alles weg. Kurz nach Verkaufsstart im Oktober waren die Karten ausverkauft.

Nun also gibt es die zweite Auflage, gespielt wird beim "Parookaville" elektronische Tanzmusik, aber man sollte dabei nicht an Kraftwerk denken, sondern an das, was auf Kirmesplätzen bei den Überschlag-Geräten läuft. Das ist Techno mit messerscharfen Synthie-Flächen und Bässen, die in der Magengegend einschlagen. In einer Halle spielt am Samstagabend einer, der sich Valentino Kahn nennt und die Taktschläge in seinen Songs auf mindestens 180 pro Minute beschleunigt. In der Popmusik ist das Lichtgeschwindigkeit. Ebendort, in der "Cloud Factory", so heißt die Halle, deren Decke mit Knubbel-Wölkchen verhangen wurde, spielte schon am Freitag DJ Felix Jaehn. Da war's so voll, dass gar nichts mehr ging, erzählen die, die draußen bleiben mussten. Jaehn ist zurzeit einer der gefragtesten Künstler seines Fachs. Vor zwei Jahren schaffte er, was zuletzt Nena gelang. Der damals 20-Jährige aus Mecklenburg-Vorpommern setzte sich mit dem Song "Cheerleader" an die Spitze der US-Hitparade. Sogar Außenminister Steinmeier (SPD) schickte Glückwünsche. Bilder vom ersten Festival-Tag sehen Sie hier.

Neun Bühnen gibt es auf dem Festivalgelände, zwei weitere an den Campingplätzen. Internationale Stars wurden eingeladen, mancher Künstler ist mit dem Privatjet angereist, erzählt Festivalveranstalter Bernd Dicks. Der Weezer Flugplatz liegt gleich nebenan, zuweilen sieht man dort die Billigflieger starten und über dem Gelände abdrehen. Die Fluggäste sehen dann hinab auf die Hauptbühne, die eigens für das "Parookaville" gestaltet wurde: eine 80 Meter lange Albtraumfabrik — mit rauchenden Schloten —, die Feuer und Laser spuckt. Das ist genau so wichtig wie die Musik. Weil Techno weitgehend auf Geschichten verzichtet — Gesang gibt es kaum —, müssen andere Erzählungen her. Das Festivalgelände ist durchinszeniert.

Es gibt auch einen (wenn auch dürftigen) Gründungsmythos: Zu Ehren des Stadtvaters Bill Parooka wird einmal im Jahr das "Parookaville" aufgebaut, ein Städtchen aus Kulissen wie im Weltraum-Western. Dort regieren Liebe und Glückseligkeit — also das, was fast alle wollen. "Die Geschichte hat die Leute angefixt", sagt Bernd Dicks. Wer möchte, kann sich einen Ausweis abholen und seinen Besuch abstempeln lassen. Wer in der Kapelle eines Brauerei-Sponsors heiratet, bekommt einen weiteren Stempel dazu. Mehr als eine Stunde stehen die Leute an. Von einem Paar abgesehen, das tatsächlich mit Standesbeamten und DJ Tujamo als Trauzeugen heiratet, nimmt ein Junge in kurzen Hosen das Gelübde ab. "Die haben hier alle einen an der Waffel", sagt Stefan Pickhardt, "aber sind ganz lieb." Ein Video von einem Paar, das in Parookaville geheiratet hat, sehen Sie hier.

Pickhardt muss das wissen, er hat jeden Festivalbesucher einmal zu Gesicht bekommen. Sein Büdchen, Metzgerei Petrusheim, steht an der Schneise zwischen Zeltplatz und Haupteingang. Der landwirtschaftliche Betrieb, den Pickhardt verwaltet, liegt gleich nebenan. Darum sei man eingeladen worden, sagt Pickhardt. An exponierter Stelle verkauft er nun Rostbratwurst, Krakauer und Frikadellen aus eigener Erzeugung. "Ihr habt Hunger, Männer", ruft er, "was darf's sein, Würstchen oder Friko?" Ein junger Mann, der Tom heißt, entscheidet sich für Krakauer im Brötchen. Er ist 19, kommt aus Dortmund und sieht nach zwei Tagen nicht mehr ganz taufrisch aus. Alles gut hier, sagt er, nur dass er fürs Duschen zahlen soll, missfällt ihm. Darum hat er sich entschieden, dass es für die paar Tage auch ohne geht. Bilder vom zweiten Festival-Tag sehen Sie hier.

Parookaville 2016 in Weeze: Schlange stehen beim Check-In
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Check-In beim Parookaville-Festival am Donnerstag

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Foto: Seybert, Gerhard

Tom hat einen Plan. Er hat ihn sich auf einem Blatt Papier mit Kugelschreiber notiert. Dort steht ganz genau, wen er wann und wo sehen will. Gleich legt Lexer im "Aerochrone Bunker" auf, da muss er hin. Später möchte er vor die Hauptbühne, steht auf seinem Blatt, ab neun Uhr will er dort bis zum Ende tanzen. Um halb zehn wird er sich hinsetzen. Irgendwo inmitten der Zehntausend. Absprung in fünf Sekunden.

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