Weeze Trommeln gegen das Vergessen

Weeze · Kinder und Jugendliche vom Weezer Wellenbrecher besuchen einmal im Monat die Bewohner des Theresien-Stifts. Unter Anleitung von Silke Beyermann wird Musik gemacht. Demenzkranke blühen dabei sichtlich auf.

Weeze: Trommeln gegen das Vergessen
Foto: Seybert Gerhard

Vorsichtig geht der Junge auf den Mann mit den weißen Haaren zu und lässt ihn nicht aus den Augen, so als wolle er ihn nicht verschrecken. In der Hand hält der Junge eine Trommel, der Mann ebenfalls. Beide trennen 70 Jahre oder mehr an Lebensalter. Es eint sie die Musik.

Gemeinsam die gleiche Musik machen ist keine Frage des Alters. Das zeigt das Trommelprojekt vom Weezer Wellenbrecher und dem Theresien-Stift.

Gemeinsam die gleiche Musik machen ist keine Frage des Alters. Das zeigt das Trommelprojekt vom Weezer Wellenbrecher und dem Theresien-Stift.

Foto: Seemann

"Tadatadadamtam" trommelt der Junge dem Herrn vor. Der macht die Gegenstimme. "Tadam." Einmal im Monat besuchen Kinder und Jugendliche vom Weezer Wellenbrecher die Senioren des Theresien-Stifts. "Wir schauen, das wir auch generationenübergreifende Angebote haben. Das tut beiden Seiten gut", sagt Anna Gabrys von der Offenen Kinder- und Jugendeinrichtung Weezer Wellenbrecher. Koordiniert hat die Aktion ihre Kollegin Simone Reimann.

Nachdem alle Senioren und Kinder mit Trommeln, Tamburinen und Boomwhackers (die bunten Röhren erinnern an Regenmacher-Instrumente, nur ohne Regen) ausgestattet sind, dirigiert Musiktherapeutin Silke Beyermann durch den Nachmittag. Erst lässt sie die Kinder sich in einen Kreis setzen. Dann wird der Kreis aufgebrochen, Bewohner und Kinder stellen sich vor. Dazu wird der sehr eingängige Vers "Wir machen heut' Musik" gesungen und getrommelt. "Es braucht ein bisschen, bis das Eis gebrochen ist", weiß die Musikpädagogin. Für die meisten Kinder ist so ein Seniorenheim doch etwas fremd. "Ich denke, das geht auch Erwachsenen so", sagt Beyermann. "Gut, ich war ein bisschen schüchtern", wird die achtjährige Chiara am Ende des Tages sagen. "Zwei Frauen waren sehr witzig, die haben die ganze Zeit gelacht", nimmt die Achtjährige als Erinnerung mit. Nur ganz junge, Kindergartenkinder, die gingen da noch sehr unbefangen ran, sagt Silke Beyermann. "Als Musiktherapeutin sehe ich mich als Brückenbauerin. Über die Musik kommen Menschen zusammen, die sonst nicht in Kontakt kämen", beschreibt Silke Beyermann ihre Aufgabe. Berührungsängste abbauen, Lebensfreude empfinden, das Gefühl, gebraucht zu werden, darum geht's.

So funktioniert's: Eine ältere Dame gibt ihre Trommel an eine junge Nachzüglerin ab und klatscht fröhlich den Takt mit ihren Händen weiter. Zwischen einer Bewohnerin und einem Jungen entspinnt sich eine Oma-Enkel-Beziehung. Sie wuschelt durch seine Haare. Eine andere Dame, die zunächst recht teilnahmslos im Kreis saß, scheint langsam aufzutauen. In der einen Hand das Tamburin, in der anderen den Schläger, streicht sie vorsichtig über das Trommelfell. Später werden die Schläge präziser, fester. "Mit Musik kann man viele Menschen erreichen. Man sieht, wie die aufleben", schildert Dagmar Weyermanns, Sozialpädagogin im sozialen Dienst im Theresien-Stift, ihre Beobachtung. "Trommeln, das steckt einfach an."

Silke Beyermann geht noch einen Schritt weiter und hat vor allem die Menschen mit Demenzerkrankung im Blick. "Als Musiktherapeutin setze ich bei dem an, was die Menschen schon erlebt haben. Der Herzschlag der Mutter ist ganz tief im Gedächtnis verwurzelt. Daran werden die Menschen beim Trommeln erinnert." Die Erinnerung bewirke in den Menschen ein Wohlsein. "Gerade bei Demenzkranken, die sich als orientierungslos erleben, gibt das Sicherheit."

Plötzlich steht ein Mann im Rollstuhl, dessen Pullover so weiß ist wie seine Haare, im Mittelpunkt. Die Musiktherapeutin ermuntert ihn, einen Takt auf seiner Trommel zu schlagen. In den Mann kommt Leben, seine Finger schlagen feste auf die glatte Fläche der Trommel. "Wie heißt der Marsch?", fragt die Musiktherapeutin in die Runde. Die Kinder gucken ratlos. Aus dem CD-Spieler lässt sie den Radetzky-Marsch im Original dröhnen. "Aber, den habe ich doch grad gespielt!", sagt der Mann prompt und trommelt unverzüglich weiter. Die ältere Generation ist voll dabei, ein Erkennen flackert in den Augen auf. Wer kann, trommelt fleißig mit.

Zum Abschluss wird Liedgut gewählt, das beide Altersgruppen kennen. Die Wahl fällt auf "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad". "Toll", findet die achtjährige Jolin die Aktion am Ende des Nachmittags. Von Berührungsängsten gibt es bei ihr keine Spur. Es sei einfach gewesen, mit den Bewohnern des Theresien-Stifts zu trommeln: "Im Altersheim sind die Leute ja schon sehr alt und die sind auch nett", fasst sie zusammen.

Eine, die sich bei "sehr nett" angesprochen fühlen darf, ist die 84-Jährige Erna van Baal. "Oh ja", sagt sie, ob ihr der Nachmittag gefallen habe. "Das hat Spaß gemacht", sprudelt es aus ihr heraus. "Und ich hoffe, dass die Kinder nächstes Mal wiederkommen."

(RP)
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