Kleve Für neun Tage Freiheit jahrelang in Haft

Kleve · Am Landgericht sind gestern die Urteile gegen Sirat A. und Nadia L. gesprochen worden. Die Frau hatte auf spektakuläre Weise ihren damaligen Freund aus dem Maßregelvollzug befreit. Richter blieben unter den Forderungen der Anklage.

 Siart A. (l.) neben seinem Anwalt. Nadia L. (3. v. l.) würdigte ihren ehemaligen Freund während der Verhandlungstage keines Blickes.

Siart A. (l.) neben seinem Anwalt. Nadia L. (3. v. l.) würdigte ihren ehemaligen Freund während der Verhandlungstage keines Blickes.

Foto: Gottfried Evers

Es war eine spektakuläre Tat: Im Mai hatte Nadia L. (22) ihren damaligen Freund Sirat A., einen 28-jährigen Psychiatrie-Patienten der LVR-Klinik Bedburg-Hau, nach einem Arztbesuch mit einem Revolver befreit (die RP berichtete mehrmals). Gestern wurde in dem Verfahren gegen das Duo vor dem Landgericht Kleve das Urteil gesprochen. Richter Jürgen Ruby beendete den Traum von der Freiheit für einige Jahre.

So muss der türkische Staatsbürger Sirat A. für sechs Jahre ins Gefängnis, seine ehemalige Freundin für dreieinhalb Jahre. Die Kammer verurteilte den 28-jährigen Patienten wegen besonders schweren Raubs und Verstoß gegen das Waffengesetz. Da Sirat A. für eine andere Straftat bereits zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war, erhöht sich seine Freiheitsstrafe somit auf zwölf Jahre. Seine ehemalige Geliebte Nadia L. wurde unter anderem wegen Gefangenenbefreiung, Verstoß gegen das Waffengesetz und besonders schweren Raubs zu dreieinhalb Jahren verurteilt. Staatsanwalt Gert Schulte hatte acht Jahre Haft für den 28-Jährigen sowie sechseinhalb Jahre für Nadia L. gefordert.

Im Mai hatte die 22-Jährige ihren damaligen Freund vor der Praxis eines Klever HNO-Arztes befreit. Mit einem Revolver zielte sie auf die zwei Pfleger, die Sirat A. begleiteten. Nach der Tat zog der Türke mit gezückter Waffe einen Rentner aus seinem Auto, bevor eine wilde Flucht ohne Ziel begann. Nach neun Tagen wurde Sirat A. wieder festgenommen, drei Tage später seine Helferin. Die beiden Angeklagten waren weitestgehend geständig.

Während der drei Verhandlungstage würdigte sich das Duo keines Blickes. Dabei hatte Nadia L. viel riskiert, um ihren damaligen Freund aus der Forensik der LVR-Klinik zu befreien. Einige Wochen vor der Tat hatten sich Sirat A. und Nadia L. regelmäßig per Handy über Möglichkeiten ausgetauscht, wie der 28-Jährige flüchten könne. In der Auswahl waren: mit einem Auto den Zaun einfahren oder diesen mit einem Bolzenschneider zu durchtrennen. Ein Seil über die Sicherheitsabsperrung zu werfen, war ebenfalls ein Thema.

Wie dilettantisch die Aktion geplant war, wurde am letzten Verhandlungstag noch einmal deutlich. Ein Kriminalbeamter musste 10.000 Datensätze, die sich auf den Mobiltelefonen befanden, auswerten. So hatte sich das Paar unter anderem Landkarten von Südamerika und den USA - wohl als mögliche Ziele nach der Tat - angeschaut. Dabei aber offenbar die weitere Planung vergessen, wie man nach der Befreiung die Flucht fortsetzten will. "Konkrete Überlegungen dazu gab es nicht. Das Ganze war ziemlich stümperhaft geplant", sagte der Beamte, der aufgrund der Nachrichten festhielt, dass Nadia L. äußerst naiv gehandelt habe und nahezu genötigt worden sei, den Ausbruch durchzuführen. Sirat A. habe das Vertrauen ausgenutzt.

Auf den Handys befanden sich auch zahlreiche Bilder von Waffen. Darunter auch der Revolver, mit dem die Frau die Tat durchführte. Die Waffe hatte sie für 100 Euro gekauft. Vor der Befreiung hatte Sirat A. seine Freundin angewiesen, keinen Blödsinn mit dem Revolver zu machen. Sie solle nicht auf Menschen zielen, sondern lieber auf die "Karre", mit der er zum Arzt gebracht werde.

Vor der Urteilsverkündung hatte Sirat A. das letzte Wort. Er gab zu, dass er ein schwieriger Fall sei. Gründe dafür seien: missratene Kindheit, Folter, Alkoholsucht. Dann forderte er: "Das Gericht soll endlich eine gute Entscheidung fällen." Im Zuge seiner Urteilsbegründung wies Richter Ruby den 28-Jährigen darauf hin, dass er selbst dafür verantwortlich sei, dass eine Therapie erfolgreich verlaufe. "Sie können nicht in den Maßregelvollzug mit der Einstellung kommen, die werden das schon richten", sagte Ruby.

Der Anwalt von Sirat A. kündigte an, Revision gegen das Urteil einzulegen.

(RP)
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