Kleve Heinrich von Kleist in die Gegenwart geholt

Kleve · Vor über 200 Jahren schrieb Heinrich von Kleist das Stück "Der zerbrochene Krug". Unzählige Male aufgeführt, verfilmt, als Hörspiel verarbeitet, nachgeahmt, in deutschen Klassenzimmern gelesen und analysiert hat das Lustspiel seinen festen Platz im Kanon der deutschen Literatur. Zum Auftakt der Theatersaison in Kleve gastierte die Burghofbühne Dinslaken in der Stadthalle mit dem Einakter in einer Inszenierung von Moritz Peters. Der altertümliche Sprachstil, in Blankversen geschrieben, ist für den Zuschauer des Jahres 2017 eine Herausforderung. So war die Aufmerksamkeit des Publikums vom ersten Moment an in hohem Grade gefordert, denn die Schauspieler trugen vor genau wie der Autor Kleist es geschrieben hat. Das Thema aber war zeitlos, über zwei Jahrhunderte stets aktuell: ein Mensch (der Dorfrichter Adam) benutzt seine Machtposition, um die eigene Schuld zu vertuschen. Lügen, Ausflüchte und Verschleierungstaktiken prägen die Gerichtsverhandlung, die offenbaren soll, wer denn den Krug der Frau Marthe im Zimmer ihrer Tochter Eve zerbrochen hat. Beschuldigt wird Ruprecht, Verlobter von Eve. Der wiederum ist unschuldig, verdächtigt seine Braut der Untreue, denn ihm ist klar, dass ein anderer am Tatort gewesen sein muss. Eve, die beinahe bis zum Schluss verängstigt schweigt, löst am Ende alles auf. Ihre Zeugenaussage bringt ans Licht, dass sowohl der schuldige Richter als auch der nur scheinbar korrekte Gerichtsrat Walter und ebenso Licht, der Schreiber, in erster Linie nur ihre eigene Machtstellung sichern wollen, daher skrupellos lügen, einschüchtern, drohen und auch vor Erpressung nicht zurückschrecken.

Eindrucksvoll die Leistung der Schauspieler, den alten Text so vorzutragen, dass alle Emotionen, Ängste und Leidenschaften, die die Figuren des Stückes bewegen, deutlich wurden. Im Kontrast zum originalen Text aus dem Jahre 1808 standen das moderne Bühnenbild und die komprimierte Inszenierung. Der Raum mit schrägem Boden blieb von Anfang bis Ende unverändert. Ein Szenenwechsel wurde durch veränderte Beleuchtung und wechselnden musikalischen Hintergrund gekennzeichnet. Die meiste Zeit waren alle sechs Akteure auf der Bühne, dennoch konnten einzelne Dialoge isoliert in Szene gesetzt werden, indem die jeweils Unbeteiligten in ihrer Haltung erstarrten und damit nicht "anwesend" waren. Die schräge Bühne wurde auch gut genutzt, um die soziale Stellung der Personen zu veranschaulichen. Zum Beispiel beim Richter Adam: mal stand er ganz oben, wenn er sich sicher in seiner Macht fühlte, drohte jedoch seine Entlarvung, lag oder stand er unten. Den stärksten Eindruck aber hinterließ die Sprache. Die Schauspieler transportierten Kleists Worte in die Gegenwart ohne sie zu verändern, und durch ihre engagierte Vorstellung gelang es, alle Doppeldeutigkeit, jeden Hintersinn und Symbolik, die auch der Autor beabsichtigt hatte, verständlich zu machen. Bewegt lauschten die Zuschauer am Ende der Aussage Eves, in der alle menschlichen Verstrickungen des Vorfalls zu Tage traten. Lang anhaltender Applaus für die Darsteller und auch für Heinrich von Kleist.

(RP)
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