Kleve Zwölf Jahre Haft für Totschlag bei Lidl

Kleve · Angehörige der Täter brechen in Tränen aus, Nebenkläger verlässt schimpfend den Saal. Gericht sieht es als erwiesen an, dass das 43-jährige Opfer Angst und Schrecken in der Familie der Täter verbreitet hat. Staatsanwalt prüft Revision.

Die beiden Angeklagten mit ihren Verteidigern Leonhard Mühlenfeld und Dr. Stefan Tierel (von links).

Die beiden Angeklagten mit ihren Verteidigern Leonhard Mühlenfeld und Dr. Stefan Tierel (von links).

Foto: Gottfried Evers

Die Stimmung im Zuschauerraum ist angespannt, als die Kammer unter Vorsitz von Richter Ulrich Knickrehm den Saal des Klever Landgerichts betritt. Ohne lange Umschweife verkündet Knickrehm dann ein Urteil, das von manchen Beobachtern nach zehn Prozesstagen als überraschend empfunden wird. Adil und Mekin O., die am 31. März dieses Jahres einen 43-Jährigen im Lidl-Supermarkt an der Materborner Allee getötet haben, müssen wegen Totschlags für zwölf Jahre in Haft. Die Staatsanwaltschaft hatte auf lebenslange Haft wegen Mord aus niederen Beweggründen plädiert. Die Verteidigung hatte sieben Jahre Haft wegen Totschlags in minderschwerem Fall gefordert.

Aus Sicht der Kammer haben die beiden Täter ihr Opfer am Tattag gegen 17.45 Uhr auf der Materborner Allee erspäht. Ob sie ihn gezielt gesucht hatten oder sich die Begegnung zufällig ereignete, habe man im Verlauf der Verhandlung nicht zweifelsfrei klären können, führt Richter Knickrehm aus. Unabhängig davon hätten Adil und Mekin O. jedoch im Auto den Entschluss gefasst, den 43-Jährigen zu stellen und zu töten. Den Ausführungen der Angeklagten, sie hätten ihr Opfer lediglich zur Rede stellen wollen, glaubt das Gericht nicht. Zeugen hatten beschrieben, wie die 31 und 22 Jahre alten Männer erst langsam am Mega-Food-Markt an der Materborner Allee und schließlich am Lidl-Markt vorbeigefahren seien. Sie hätten gewirkt, als wenn sie jemanden gezielt suchen würden. "Das wäre ein übertriebener Aufwand, wenn man nur mit jemandem reden möchte", sagt Richter Ulrich Knickrehm.

Im Lidl-Markt haben sie das Opfer schließlich erspäht und es anschließend im Ausgangsbereich abgepasst. Sofort ist es zu einem Wortgefecht gekommen, in dessen Verlauf Mekin O. ein Messer zog und mindestens einmal auf den 43-Jährigen einstach. Ein Zeuge schaffte es noch, die drei Männer durch einen Einkaufswagen zu trennen. Auf der Flucht zurück in den Markt holten die beiden Täter das Opfer jedoch im Kassenbereich wieder ein. Beide stachen auf den 43-Jährigen ein, auch als er bereits am Boden lag. 44 Stich- und Schnittverletzungen zählte die Gerichtsmedizin später. "Das Gericht hat nicht feststellen können, dass die Tat lange geplant war. Viel mehr gehen wir davon aus, dass sie spontan geschah", sagt Richter Ulrich Knickrehm. Auch dass die Täter vor zahlreichen Zeugen zustachen, unvorbereitet geflohen waren und sich kurze Zeit später stellten, spreche für eine spontane Tat.

Mann stirbt bei Messerstecherei in Kleve
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Foto: Stade, Klaus-Dieter

Auch zum Motiv äußert sich die Kammer. 2002 war die Ehe des 43-Jährigen mit einer Schwester der beiden Täter geschieden worden. Er soll seiner Frau gegenüber gewalttätig aufgetreten sein. 2008 ging der Mann schließlich mit einem Messer und einem Stein auf einen Bruder der Täter und seiner Ex-Frau los und verletzte ihn schwer. Daraufhin wurde er 2009 in Kleve zu vier Jahren Haft verurteilt. Die mehrfachen Übergriffe des Opfers auf die Familie der beiden Täter hätten bei dieser für ein Klima der Angst gesorgt. "Eine subjektiv empfundene Angst, die lebensbedrohend und -bestimmend geworden war", sagte Knickrehm. Die Tat trage durchaus Züge von Selbstjustiz. "Dies wollte man selbst regeln", sagte Knickrehm. Niedere Beweggründe schließt der Richter auch wegen der emotionalen belastenden Vorgeschichte aus.

Die Angehörigen der beiden Täter brechen nach der Urteilsverkündung im Zuschauerraum unter Tränen zusammen. Der als Nebenkläger auftretende Bruder des Opfers verlässt fluchend den Gerichtssaal. Zuvor hatte er in Richtung der weinenden Angehörigen geschimpft. Die Verteidigung zeigt sich in einer ersten Stellungnahme zufrieden. "Unsere Mandanten sind zunächst froh, nicht lebenslang ins Gefängnis zu müssen", sagt Rechtsanwalt Dr. Stefan Tierel. Bei guter Führung könnten sie nach acht Jahren entlassen werden. "Das ist eine Lebensperspektive." Wie man weiter verfährt, müsse mit den Mandanten abgesprochen werden. Auch die Staatsanwaltschaft hat angekündigt, eine Revision prüfen zu wollen. Diese würde am Bundesgerichtshof verhandelt werden.

(lukra)
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