Krefeld Die Menschen des Jahres 2013
Welch irre Geschichte – eine Bundestagskandidatin steigt nachts mit dem Gefühl der Enttäuschung ins Bett, schaut morgen auf ihr Mobiltelefon und erfährt: Sie ist überraschend doch in den Bundestag eingezogen. Der Krefelderin Kerstin Radomski (CDU) ist genau dies widerfahren. In der Wahlnacht hoffte sie, gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Siegmund Ehrmann den Wahlkreis direkt holen zu können. Dies schaffte sie nicht. Radomski verlor aber dann einen möglichen Einzug über die Landesliste aus dem Blick. Auf der hatte sie den 40. Platz. „Das wird niemals reichen“, sagte Radomski vorher. Wegen des starken CDU-Ergebnisses reichte es dennoch: und am nächsten Morgen musste die Lehrerin des MSM-Gymnasiums den Schülern mitteilen, dass sie nun im Bundestag sitzt. Einer der ersten Gratulanten: CDU-Parteichef Marc Blondin – auch eine politische Überraschung des Jahres. Der Traarer Ratsherr gilt nicht als harter Sachthemen-Politiker, hat aber das Talent, seine Partei mitzunehmen. Ihm gelang es, den Generationenwechsel in der CDU geräuschlos zu vollziehen, mit dem Vorstand auch die Mannschaft für die kommende Kommunalwahl neu aufzustellen. Wenn dieser Kurs in der CDU nicht ankäme, hätte die Partei dem Vorsitzenden bei der Listenwahl den Denkzettel verpassen können – das herausragende Ergebnis von 98,92 Prozent, bestes Resultat bei der Delegiertenversammlung zeigt: Die Partei steht hinter Blondin.
2013 war ein gutes Jahr für den Krefelder Liedermacher Patrick Richardt: Auf dem renommierten Musiklabel Grand Hotel van Cleef hat er sein Debütalbum „So wie nach Kriegen“ veröffentlicht, erntete in den Musikmagazinen gute Kritiken, spielte Konzerte im Vorprogramm der Sportfreunde Stiller und Thees Uhlmann und reiste zur Krönung in diesem Jahr nach Weißrussland. Das deutsche Goethe-Institut hatte ihn dorthin eingeladen. Ziele für 2014? „Neues Jahr, neue Platte“, schreibt Richardt auf Facebook.
Noch am Anfang von 2013 war das Horten-Haus ein dicker Betonklotz und eigentlich wollte in Krefeld so recht niemand daran glauben, dass dieses Gebäude eine Zukunft hat. Aus Berlin kam ein Investor nach Krefeld, der eine ganz spezielle Idee für das Haus hatte: Entkernen, neu verkleiden, verschiedene Großketten ansiedeln. Joachim Tenkhoff heißt der Mann. Im März 2013 machte er zur Gewissheit, was er vorher bereits angekündigt hatte: 45 Millionen Euro sollen in das Ostwall-Carree investiert werden, in das im Jahr 2014 schon die Filialisten Rossmann, Toys’R’Us und der Ankermieter Primark einziehen. Bei der Vorstellung des Vorhabens im Krefelder Rathaus im März freuten sich auch Oberbürgermeister Gregor Kathstede und Planungsdezernent Martin Linne. Kathstede lobte Tenkhoff: „Er hat nie den Glauben an Krefeld und den Standort verloren. Dafür bin ich ihm dankbar. “ Tenkhoff wiederum lobte Krefeld und sagte, „dass Krefeld den Strukturwandel im Vergleich zum Ruhrgebiet exzellent geschafft hat.“
Gute Abiturienten hatte Krefeld in diesem Jahr viele, manche sogar mit dem Notenschnitt 1,0. Und dennoch ist die Krefelderin Xeniya Tikhonova vom Gymnasium Horkesgath in diesem Jahr Krefelds besonderste Abiurientin. Im Alter von 10 Jahren kam sie ganz ohne Deutschkenntnisse von Kasachstan nach Krefeld. Anfangs zweifelten die Lehrer an der Grundschule, ob ihre Leistungen für das Gymnasium reichen würden. Eine hat immer daran geglaubt, dass sie es schafft: Xeniya Tikhonova selbst. Ihr Abitur machte sie im Sommer mit 1,0. Ihr Rezept? „Entscheidend ist, dass man selber will.“
Es gab nicht wenige in Krefeld, die ihre Idee für tollkühn hielten: ein Architekturmodell als Rohbau für nur einen Sommer mitten in die Landschaft stellen – das soll funktionieren? Christiane Lange hat dies mit einem Unterstützerkreis möglich gemacht. Das Mies-von-der-Rohe-Modell auf dem Egelsberg hat Krefeld für einen Sommer zu einem Hot Spot der Architekturszene gemacht und tausende Besucher nach Traar geholt.
Outokumpu-Chef Mika Seitovirta ist in Krefeld nicht beliebt – 2013 musste er nach der Übernahme des Krefelder Stahlwerks einen radikalen Sparkurs beschließen; die Investitionen in Krefeld fallen geringer aus, auch Arbeitsplätze drohen wegzufallen. Im Spätsommer bespricht Seitovirta dies mit der Führungsetage seines Unternehmens in Krefeld, während draußen vor der Zentrale die Arbeiter protestieren, Seitovirta beschimpfen, „Komm raus, Du Sau“ rufen. Seitovirta (im Bild mit Mikrofon) hat noch wenige Minuten vorher bei einem Interviewtermin mit unserer Zeitung angekündigt, nicht zu den Arbeitern sprechen zu wollen. Die Demo verfolgt er also im Hintergrund, und schreitet plötzlich dennoch zum Mikrofon, liest dort eine Erklärung auf Deutsch vor. Auch mancher Arbeiter staunt danach: „Einen Arsch in der Hose hat er ja“, sagte einer.