Krefeld Verdis Scheidungsoper begeistert Krefeld

Krefeld · Erstmals war auf der Krefelder Bühne Giuseppe Verdis lange verschollene Oper "Stiffelio" zu sehen. Für Sänger und Musiker gab es donnernde Ovationen. Der erste "Bravo"-Ruf galt Johannes Schwärsky für die Arie des Oberst Stankar im ersten Akt.

 Ein Brief wird ihnen zum Verhängnis: Lina (Izabela Matula) und Raffaele (Michael Siemon) haben ein Verhältnis, das er mit seinem Leben bezahlen wird.

Ein Brief wird ihnen zum Verhängnis: Lina (Izabela Matula) und Raffaele (Michael Siemon) haben ein Verhältnis, das er mit seinem Leben bezahlen wird.

Foto: Matthias Stutte

Der "Rigoletto" hat Giuseppe Verdi den Durchbruch gebracht. Seine gleichzeitig entstandene Oper "Stiffelio" hat der Komponist schnell wieder vom Markt genommen - als Zugeständnis an die Zensur, der ein Pfarrer, der von der Kanzel predigt, von seiner Frau betrogen wird und mit Zorn und Härte reagiert, denn doch zu kühn war . Aber Verdi hat immer an die Qualität seiner Musik und des modernen, zeitgenössischen Textes geglaubt. Er hat sogar eine entschärfte Version erarbeitet, in der der Priester zu einem Kreuzritter wird.

Das Zugeständnis brachte nichts. Mit der Brisanz des Stückes ging ein Großteil seiner Kraft verloren. Wie modern und kongenial Handlung und Partitur miteinander verwoben sind, erlebte das Publikum bei der "Stiffelio"-Premiere. Erstmals war das vor einem halben Jahrhundert wiederentdeckte Werk in Krefeld zu sehen - und hat viele neue Fans gewonnen. Minutenlanger Beifall mit Händen und Füßen und laute Bravo-Rufe gab es vor allem für Sänger und Musiker.

Regisseurin Helen Malkowsky siedelt die fiktive Glaubensgemeinde in einem offenen Raum an. Fleckige Wände deuten auf alte Mauern hin, die gleichzeitig die Begrenztheit der Weltsicht in einem geschlossenen System verdeutlichen (Bühnenbild: Hartmut Schörghofer). Auch die Kostüme von Susanne Hubrich haben eine zeitlose Vagheit, die Symbole lassen keinerlei Schlüsse auf christliche Religionsgemeinschaften zu. Das ist klug. Hier wird allgemeingültig verhandelt, wie es um Glauben, Moral und Vergebung gestellt ist. Das macht "Stiffelio" so aktuell.

Die Scheinmoral der "religiös Anständigen" muss Verdi ein spitzer Dorn im täglichen Leben gewesen sein. Denn er lebte ohne Trauschein mit der Sängerin Giuseppina Strepponi zusammen. Die Anfeindungen, die man ihm gegenüber nicht wagte, bekam sie zu spüren. Aber das muss man nicht wissen, um die Oper zu genießen - ebensowenig wie die umfangreiche Vorgeschichte der Bühnenfiguren. Die Musik erzählt alles Wesentliche.

Verdis Oper beginnt dort, wo in der französischen Romanvorlage bereits der Held Stiffelio durch Abenteuer gegangen ist, die Liebe gefunden und geheiratet hat. Die Wunden, die er, seine Frau Lina und deren Vater, ein von Kriegserlebnissen malträtierter Oberst, davongetragen haben, blitzen in der Oper stetig auf - nicht nur in den literarischen Texten.

Die typischen Verdischen Ohrschmeichler der Streicher, die glanzvollen Hörner und perlenden Motive der Flöten begleiten jede Gemütsverfassung. Generalmusikdirektor Mihkel Kütson lässt die Niederrheinischen Sinfoniker kitschlos schöne Seelenlandschaften ausmalen, fein bis in zarteste Pianissiomo-Farben. Jede Pause im schwelgenden Klangfluss versinnbildlicht Atemlosigkeit und Spannung des Bühnengeschehens.

Der glanzvollste Mann des Abends ist ausgerechnet der Mörder: Johannes Schwärsky zeigt die dunklen Facetten des Oberst Stankar. Finster, von Zorn und Rachelust getrieben will er den Mann töten, der seine Ehre und das Glück seiner Tochter Lina auf dem Gewissen hat. Mit unerschütterlichem Bariton jede Stimmunsschwankung auskostend setzt er gesangliche Glanzlicher - und bekommt für seine Arie im ersten Akt die ersten "Bravi" des Abends. Auf dem Siedepunkt seiner Rage singt der Opernchor aus dem Off das Abendgebet. Das ist bewegend.

Izabela Matula zeigt die Lina als tief gläubige Frau, die zum Spielball männlicher Interessen wird, und brilliert mit kristallklarem Sopran, der vor allem in den Höhen Glanz und Licht verströmt. Wundervoll ist ihr hingebungsvoller Gesang am Grab der Mutter. Michael Siemon ist als Raffaele kein Draufgänger, eher ein zurückhaltender Mann, der sich seiner Gefühle für Lina nicht ganz bewusst ist.

Mit schön austarierter Tenorstimme trägt er das zur Schau. Als Stiffelio beweist Kairschan Scholdybajew über lange Klangstrecken großen Atem und hat in der Arie mit Lina seine besten Momente. Der Theaterchor ist stimmlich und darstellerisch in Top-Form. Und auch Hayk Dèinyan (Jorg), James Park (Federico) und Eva Maria Günschmann (Dorotea) tragen zum hohen Klangniveau des Abends bei.

(RP)
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