Karin Kettling "Wir bieten Mundwerkszeug gegen Hass-Parolen"

Langenfeld · Ein "Theater der Demokratie gegen Stammtischparolen" ist angekündigt. Die Schauspielerin und Argumentationstrainerin Karin Kettling gibt am Mittwoch im Monheimer Rheincafé, Turmstraße 21, zusammen mit ihrem Bühnenpartner Jürgen Albrecht "Impulse zu geistiger Notwehr".

"Zuvielcourage" - der Titel Ihres Auftritts am Mittwoch ist ein Wortspiel, für manche aber auch bittere Realität. Was entgegnen Sie denjenigen, die sagen: "Ich lasse mich doch nicht für andere und schon gar nicht für Argumente krankenhausreif schlagen, ich halte mich lieber zurück"?

Kettling Zurückhaltung beziehungsweise professionelle Hilfskräfte zu informieren ist bei Schlägereien durchaus richtig. Unser Titel bezieht sich jedoch nicht auf Handgreiflichkeiten, sondern auf verbale Courage. Wir bieten ein Argumentationstraining an, das auf Respekt und Besonnenheit aufbaut. Zwei Eigenschaften, die sich üben lassen. Kann es davon je zuviel geben? Gerade nachdenklicheren, empfindsamen Menschen ist eine lautstarke Auseinandersetzung zuwider. Wir zeigen, wie wir trotzdem Haltung beziehen können, ohne uns ins Gefecht zu stürzen. Brecht zitiert in seinen Flüchtlingsgesprächen: "Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen."

Auf dem Szenenfoto kommt Ihr Bühnenpartner als Spießer daher, Sie dagegen reichen einen Apfel. Sind die Rollen in Ihrem Zwei-Personen-Stück fest verteilt?

Kettling Es handelt sich um kein "Theaterstück in 3 Akten", sondern um eine Collage aus Szenen, Moderation und Ermutigung. Sie steigt dabei in keine Diskussion über tagesaktuelle Themen ein, sondern beleuchtet die Frage, wieso wir uns bei Diskriminierungen, negativer Stimmungsmache und Menschenverachtung im Alltag oft nicht einmischen können, weshalb wir auf jeden Fall Stellung beziehen sollten und wie das auf eine elegante, humorvolle, aber auch eindeutige Art funktionieren kann.

Ihr Stück baut auf einem Ratgeber-Büchlein auf. Das müssen Sie uns erklären.

Kettling Mit dem Programm "Demokratie leben" unterstützt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2015 Projekte, die sich engagiert für ein gewaltfreies, tolerantes und demokratisches Miteinander einsetzen. Als freie Schauspielerin stellte ich im April 2016 einen Förderantrag für ein solches Projekt. Der Politikwissenschaftler Günther Semmler, der emsig und seit Jahren die rechte Szene analysiert, hat mich inhaltlich beraten und mir Prof. Dr. Hufers (Uni Duisburg-Essen) "Argumentationstraining gegen Stammmtischparolen" empfohlen. Dieses Buch ist leicht verständlich, bietet Hintergrundmaterial und eine fundierte langjährige Erfahrung im Umgang mit politischen Hetzreden. Jürgen Albrecht, mein Theater-Kollege, der auch Theaterpädagoge ist, durfte sich Herrn Hufers bewährte Seminarstruktur aneignen, ich selbst besuchte ein ausführliches Antirassismus-Training in Duisburg. Danach entwarfen wir die Theaterszenen und - für vertiefende Fortbildungsseminare - auch weiterführende Rollenspiele, Erläuterungen und Übungen.

Im Internet wird nach landläufiger Beobachtung hasserfüllter gestritten als offline. Sehen Sie Auswirkungen auf die Diskussionskultur insgesamt? Wird das in Ihrem Stück aufgegriffen?

Kettling Das ist ein zu weitläufiges Thema. Wir konzentrieren uns auf das Kommunikationsverhalten im realen Leben.

Heute steht der Stammtisch in seiner unsympathischen Bedeutung auch in Regierungszentralen (Ankara, Washington). Als Vorlage für die Bühne ist das doch ein Geschenk, oder?

Kettling Mich interessiert mehr, die Hintergründe der Menschen, die Parolen dreschen, besser zu verstehen, ihre Motivation, sich gegen die jetzige Politik zu wenden. Dabei spielen Ängste offenbar eine große Rolle. Einige Gruppierungen nutzen diese leider gerade für sehr einfache ab- und ausgrenzende Lösungsvorschläge. Wir sollten aber nicht wieder in die Falle tappen, Sündenböcke für globale oder lokale Probleme oder die Bestätigung von alten Feindbildern zu suchen.

Sie wenden sich mit "Zuvielcourage" besonders an die Schüchternen. Wie machen Sie ihnen Mut?

Kettling Alleine zu kämpfen ist frustrierend, sich zusammenzuschließen der erste Schritt. Schauen Sie sich um, wer neben Ihnen steht! Ermutigen Sie sich gegenseitig!

Neben den Schüchternen haben auch die Aufbrausenden ein Diskussionsproblem. Wie mischt man sich ein, ohne arrogant, moralisierend oder aggressiv zu werden?

Kettling Das sehen Sie am besten am Abend selbst. Es geht nicht darum, der Gewinner einer Diskussion zu sein. Ziel ist es, sachlich und ruhig die Parolen zu hinterfragen und die eigene Werteposition zu formulieren. Grenzen setzen, humorvoll reagieren, Konsequenzen erfragen, Vorurteile entkräften - die Palette der Zivilcourage ist groß.

Wie wichtig ist Humor in einem Streitgespräch?

Kettling Humor ist wunderbar geeignet, die Anspannung zu lösen und sich wieder menschlich zu begegnen. Aber das klappt nur, wenn alle Anwesenden darüber lachen können, also nicht auf Kosten von Gesprächspartnern.

DIE FRAGEN STELLTE THOMAS GUTMANN.

(RP)
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