Leverkusen Vorwurf: Kita-Kind am Stuhl festgebunden

Leverkusen · Es könnte ein Drehbuch zu einem Fernseh-Film sein: In einer integrativen Tageseinrichtung wird ein kleiner behinderter Junge mit dem Körper und den Händen an der Stuhllehne angebunden, kann sich nicht bewegen. Als die Mutter in die Kita kommt, sieht sie ihren Sohn festgebunden. Ein Schock.

 Die Experten des städtischen Jugendamtes müssen jetzt Feuerwehr spielen, um aus dem Fall die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Die Experten des städtischen Jugendamtes müssen jetzt Feuerwehr spielen, um aus dem Fall die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Foto: US

Das Szenario ist kein Drehbuch. Die Mutter eines autistischen Vierjährigen berichtete uns am Dienstag dies: Mitte vergangener Woche. Der Junge hat leichten Schnupfen. Die Mutter überlegt, ob sie das Kind überhaupt zur Kita bringen soll, entscheidet sich dafür. "Ihm tut die Kita gut. Er geht seit September dorthin, hat im Umgang mit den anderen Kindern viel gelernt. Die Eingewöhnung war zwar anstrengend, aber mittlerweile geht er richtig gerne hin", erzählte die Leverkusenerin.

In der Kita sagt sie Bescheid, dass der Sohn Schnupfen habe. Sie könne ihn jederzeit abholen, falls es schlimmer würde, bietet die Mutter an. "Die Erzieherin hat mich angemeckert, in der Kita wären viele Mitarbeiter, selbst die Praktikantinnen, krank." Die Leverkusenerin gibt den Sohn in die Kita, bringt die ältere Tochter zur Schule, entschließt sich dann, den Sohn wegen der Erkältung doch früher abzuholen.

Als sie den Gruppenraum betritt, sieht sie ihren Sohn mit dem Bauch und den Handgelenken angebunden an die Rückseite einer Stuhllehne. "Ich habe meinen Sohn jammern gehört. Er kann nicht sprechern, kann sich nicht wehren", berichtete die Leverkusenerin. Die Erzieherin habe gesagt: "Erschrecken Sie nicht." Der Vierjährige hat nach Aussage der Mutter auch ein blaues Auge gehabt. "Angeblich ist er beim Toilettengang mit einer Praktikantin vor eine Tür gelaufen. Aber die Praktikantinnen waren doch auch alle krank."

Die Mutter spricht die Kita-Leiterin an. "Sie wollte den Vorfall schönreden", sagte die Mutter am Dienstag unserer Redaktion. In einem Telefonat habe es später geheißen, die Erzieherin habe "nur einmal testen wollen, ob er sich auf eine Sache konzentrieren kann", berichtete die Leverkusenerin. Sie erstattete am Montag Strafanzeige wegen Körperverletzung bei der Polizei, wie ein Behördensprecher bestätigte. Auch ein Gespräch mit dem Jugendamt hat es gegeben.

Am Mittwoch kommen laut Jugenddezernent Marc Adomat Kita-Leiterin und Erzieherin zum Jugendamt. "Wir wollen beide Seiten hören. Danach werden wir entsprechende Konsequenzen ziehen", sagte Adomat. Bisher sei die Erzieherin nicht suspendiert worden. Eine Meldung wegen Personalknappheit in der Kita habe dem Jugendamt am Donnerstag nicht vorgelegen. "Wir sind bei Mitarbeiterausfällen immer bemüht, Abhilfe zu schaffen", betonte Adomat und fügte an: "Festbinden oder anbinden wird in unseren Einrichtungen nicht toleriert." Es gebe keine Therapieform, die dies rechtfertige.

Das bestätigte auch Julius Busch. Der Hitdorfer ist Psychologe und Psychotherapeut. Er sagte: "Das Verhalten der Erzieherin, sollte die Schilderung der Mutter so stimmen, liegt unter jeden erzieherischen Standard. Es zeigt aber auch die Hilflosigkeit mit autistischen Kindern umzugehen. Sie brauchen eine 1:1-Betreuung. Es müssten mehr Erzieher her." Wichtig sei generell, Autisten bei ihrem Verhalten keinen bösen Willen zu unterstellen und sich ihnen gegenüber authentisch zu verhalten. "Diese Kinder haben einen motorischen Drang, müssen sich bewegen, wollen sich so selbst spüren."

Dass ihr Sohn sich viel bewegen wolle, bestätigte auch die Leverkusenerin. Er brauche motopädische und logopädische Förderung, wie er sie in einer solchen speziellen Kindertagesstätte bekommen könnte. "Aber seit dem Vorfall bin ich extrem misstrauisch geworden", sagte sie.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort