Mit Felix Nattermann Und Michael Pleitgen "Ohne Medienkompetenz geht es nicht mehr"

Mönchengladbach · Felix Nattermann, medienaffiner Mathe- und Informatiklehrer, und Michael Pleitgen, Computerverweigerer und Pädagoge im Ruhestand, sprechen über Beamer und Matrizen, über Medienkompetenz und produktiven Müßiggang ganz ohne Smartphone.

 Notebook oder Schreibblock? Felix Nattermann (l.) und Michael Pleitgen sprechen über Vor- und Nachteile der digitalen Medien.

Notebook oder Schreibblock? Felix Nattermann (l.) und Michael Pleitgen sprechen über Vor- und Nachteile der digitalen Medien.

Foto: Detlef Ilgner

Sie sind beide Pädagogen: Sie, Herr Nattermann, mit hoher Affinität zu den digitalen Medien, Sie, Herr Pleitgen, bezeichnen sich als Computerverweigerer. Frage an Sie beide: Haben Sie ein Handy dabei?

Nattermann Natürlich habe ich mein Smartphone dabei, allerdings ist es nicht das allerneueste Modell. Meine Schüler haben neuere, ich mache den Hype nicht unbedingt mit. Ich lege Wert auf andere Dinge. Zum Beispiel auf zwei SIM-Karten, so dass ich immer eine gute Netzabdeckung habe. Außerdem habe ich immer mein Notebook und einen Mini-Beamer dabei, den ich im Unterricht einsetzen kann.

Pleitgen Ich habe kein Handy dabei. Ich besitze eins, das fünf Euro gekostet hat. Das liegt im Auto und ist für Notfälle gedacht. Ich wandere gern in einsamen Gegenden, da ist das sinnvoll. Aber ich schalte es sonst nie ein und kenne auch die Telefonnummer nicht. Ich will ja auch nicht mobil angerufen werden.

Herr Nattermann, wenn Sie immer Notebook und Beamer dabei haben, nutzen Sie dann überhaupt so etwas Altmodisches wie eine Tafel?

Nattermann: Oh ja, das tue ich. Neue Medien muss man mit Verstand nutzen. In vielen Zusammenhängen ist die grüne Tafel eindeutig praktischer. Im Matheunterricht zum Beispiel nutze ich sie sehr viel. Die Schüler können dann besser nachvollziehen, was ich tue. Außerdem hat die grüne Tafel viel mehr Fläche, und es gibt keine Bugs. Im Informatikunterricht aber oder in der Oberstufe benutze ich oft Notebook und Beamer. In der Oberstufe kommt es nicht mehr auf die Konstruktion des Graphen an, das können die Schüler, deshalb kann ich ihn auch einfach projizieren.

Herr Pleitgen, haben Sie in Ihrer aktiven Zeit digitale Medien genutzt?

Pleitgen Ich habe sie nicht genutzt und im Deutsch- und Englischunterricht nicht vermisst. Schüler wollten bei Referaten gelegentlich Powerpoint verwenden und Beamer einsetzen. Das durften sie natürlich, aber es gab immer sehr viele Pannen damit. Ehrlich gesagt, waren die Referate nicht schlechter, als noch mit Matrizen gearbeitet wurde.

Nattermann Man muss beide Seiten kennen. Der Umgang mit Powerpoint wird heute vorausgesetzt. Selbst Viertklässler sollten rudimentäre Kenntnisse mitbringen, die dann im Laufe der Jahre ausgebaut werden. Es gibt sehr gute und sehr schlechte Powerpoint-Vorträge. Die Kunst besteht darin, zu wissen, welches Tool man wann verwendet. Die Schüler brauchen spezielle neue Kompetenzen aus dem Bereich der digitalen Medien.

Wie gut sind die Schulen in diesem Bereich ausgestattet? Ist die Ausrüstung nicht meistens hoffnungslos veraltet?

Pleitgen Schon zu meiner Zeit waren die Geräte veraltet.

Nattermann Die Schulen hinken notgedrungen hinterher. Computer sind heute nach drei Jahren veraltet, so schnell können sie in Schulen nicht erneuert werden, dazu ist kein Geld da. Wir sind am Gymnasium am Geroweiher allerdings in der glücklichen Lage, dass wir Sponsoren haben. Entscheidend ist aber nicht unbedingt die Ausstattung, sondern die Medienkompetenz der Nutzer.

Wie sieht es denn mit der Medienkompetenz der Lehrer aus? Gehört sie heute zum Beruf?

Nattermann Medienkompetenz ist für Lehrer, aber nicht nur für sie, ein klares Muss. Das heißt, dass sie sich auch fortwährend mit den digitalen Medien beschäftigen müssen, obwohl es sehr schwierig ist, auf dem Laufenden zu bleiben, denn die Entwicklung ist rasant. Es ist aber vor allem wichtig, dass im Unterricht der kritische Umgang mit den Medien erlernt wird.

Pleitgen Das ist absolut richtig, Medienkompetenz gehört heute dazu. Lehrer müssen das können. Ich lehne die Technologie auch nicht grundsätzlich ab, ich bin nicht technikfeindlich. Bei mir geht es nur um die subjektive Komponente, ich muss nicht alles mitmachen. Aber ich sehe die Vorzüge durchaus. Im Reisebüro wird heute ein Flug in zwei Minuten gebucht, früher hat das eine Stunde gedauert. Nur für mich persönlich hat der PC keine Relevanz.

Wie setzen Sie die digitalen Medien beruflich zum Austausch ein? Ist das praktisch oder führt das zu einem Verlust an persönlichen Begegnungen?

Nattermann Es handelt sich einfach um eine andere Art der Kommunikation, sie hat Vor- und Nachteile. Ich habe noch eine Firma, und die einzelnen Partner sitzen in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Wir skypen regelmäßig, das ist total praktisch. Bei Schülern sehe ich schon das Problem, dass sie sofort das Handy rausholen, wenn sie sich langweilen. Sie brauchen permanente Beschäftigung. Das hat Vorteile, es fordert das Gehirn und stärkt die schnelle Auffassungsgabe. Das parallele Arbeiten wird geschult. Wir verlieren aber auch Kompetenzen dabei, etwa bei einem Text in die Tiefe zu gehen.

Pleitgen Man muss nicht immer etwas zu tun haben. Es gibt auch so etwas wie produktiven Müßiggang. Beim Zugfahren habe ich allerdings auch immer ein Buch oder eine Zeitung dabei.

Nutzen Sie die digitalen Austauschmöglichkeiten auch in der Schule?

Nattermann In hohem Maße. Im Mathe-Unterricht beispielsweise nutze ich eine Plattform, zu der sich jeder Schüler anmeldet. Hier finden sich die Themen für die nächsten Arbeiten, und es gibt Listen, an denen die Schüler abhaken können, welche Themen sie beherrschen. Und wenn sie etwas abgehakt haben und können es in der nächsten Arbeit nicht, spreche ich sie darauf an. So sehe ich, was sie können. Das kann man auch anders machen, aber in dieser Form ist es sehr praktisch. Noch intensiver setze ich diese Möglichkeiten bei der Informatik-AG oder im Informatik-Unterricht ein. Hier gibt es einen Chat, ein Forum, Schüler helfen sich gegenseitig oder bekommen von mir Hilfe. Sie können neue Aufgaben anfordern und vieles mehr.

Das heißt aber, dass Sie für Ihre Schüler noch erreichbar sind, wenn der Unterricht schon vorbei ist, am Abend oder an den Wochenenden. Bedeuten die digitalen Medien also mehr Arbeit für Lehrer?

Nattermann An den Wochenenden habe ich auch so nicht frei, die brauche ich zum Korrigieren. Grundsätzlich geht es aber auch schneller, eine E-Mail zu schreiben und entsprechendes Material anzuhängen als beispielsweise Unterlagen mit in die Schule zu nehmen, zu kopieren und weiterzureichen.

Pleitgen Die ständige Erreichbarkeit ist für mich eine Horrorvorstellung. Ich muss allerdings zugeben, dass es in den letzten drei Jahren vor meiner Pensionierung für Computerverweigerer wie mich immer enger wurde. Ich bin aber ganz sicher, dass die Qualität meines Deutsch- oder Englischunterrichts nicht darunter gelitten hat.

Nattermann Das A und O ist immer die Lehrerpersönlichkeit. Letztendlich haben weder Methoden noch Medieneinsatz denselben Stellenwert wie die Persönlichkeit des Lehrers.

Wie sieht es mit der Medienkompetenz der Eltern aus? Kann man von ihnen verlangen, mit der Schule und den Lehrern nur noch per E-Mail zu kommunizieren?

Nattermann Wenn sich eine Technik ausbreitet, dann ist sie irgendwann Standard. Das war beim Telefon auch so. Eltern sollten nicht nur E-Mails abrufen, sie sollten sich in der digitalen Welt ihren Kindern zuliebe auch auskennen. Wie können sie ihre Kinder sonst unterstützen oder ihren Medienkonsum kontrollieren? Bei Cybermobbing wenden sich die Eltern oft an die Schule, dabei sind das Dinge, die in der Freizeit passieren. Eltern müssen sich mit der Lebenswelt ihrer Kinder auseinandersetzen. Sie müssen zum Beispiel auch wissen, dass ein Spiel wie GTA ab 18 ist und in der neuen Version sehr realistische Folterszenen enthält. Oder dass ihre Kinder mit YouNow weltweit auf Sendung gehen können.

Mit welchem Gefühl blicken Sie in die Zukunft?

Pleitgen Wenn die Entwicklung so weiter geht, werde ich mich immer fremder in dieser Welt fühlen.

Nattermann Das passiert, wenn man sich mit dieser Welt nicht beschäftigt. Das Grundproblem ist nicht die Digitalisierung, sondern die Haltung. Wir müssen bereit sein, uns immer wieder mit Neuem auseinanderzusetzen und unsere Schüler auf die schnelllebige Welt vorbereiten, damit sie kritisch damit umgehen können.

DAS GESPRÄCH FÜHRTEN ANGELA RIETDORF UND SABINE KRICKE

(RP)
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