Serie Mein Engel Reizende Engel, die keine Engel sein möchten

Moers · Eine ungewöhnliche Skatrunde trifft sich jeden Donnerstag. "Wenn der Nachmittag mal ausfällt, bin ich immer traurig", sagt Holger Waters.

Wenn's auf Donnerstag zugeht, hebt sich bei Holger Waters und Siegfried Zapf die Stimmung. Donnerstag Nachmittag wird nämlich Skat gespielt. Waters (53) und Zapf (60) sind beide auf den Rollstuhl angewiesen und leben im Caritas-Haus St. Hedwig in Kamp-Lintfort. "Das ist der schönste Tag der Woche", sagt Waters. "Es wird viel gelacht. Wenn der Nachmittag mal ausfällt, bin ich immer traurig."

Dass die Skatrunde ausfällt, kommt zum Glück selten vor. Denn auch Heinrich Leesker (71) und Gerd Stenger (77), die Skat-Partner der beiden Heimbewohner, haben einen Mordsspaß an der wöchentlichen Partie im Aufenthaltsraum von St. Hedwig. Als "Engel" möchten die beiden Ehrenamtler denn auch gar nicht betrachtet werden. "Waters und Zapf sind ausgesprochen sympathisch. Ich mach das einfach gerne, sonst würde ich es nicht tun", sagt Stenger. Dennoch: Für Waters und Zapf sind die Nachmittage mit Leesker und Stenger etwas ganz Besonderes. Eine herrliche Auszeit vom Alltag, der, wie überall, manchmal auch hier etwas grau und eintönig sein kann.

Alltag - für Waters gehören dazu zum Beispiel Krankengymnastik und Ergotherapie. Am 1. April 1996 veränderte ein schwerer Unfall sein Leben. Der Repelener hatte Maschinenbau und Betriebswirtschaft studiert und arbeitete nebenbei in der Rechnungsprüfung bei UPS. "Ich war nahe Grevenbroich mit dem Auto unterwegs, es war neblig und glatt. Ich bin ins Rutschen gekommen und in einen Tanklastzug gerast. Die Füllstutzen haben mir den Kopf zerdeppert."

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Foto: Christoph Reichwein

Nach künstlichem Koma, Operationen und Reha verbrachte Waters lange Jahre in einem Heim in Norddeutschland. 2011 zog er ins Haus Hedwig. Er wollte zurück an den Niederrhein. "Meine Lebensgefährtin und meine 21-jährige Tochter leben in Rheinberg." Im Haus Hedwig wohnen neben Senioren Menschen im Alter von 18 bis 65 Jahren, die aufgrund von Handicaps auf Pflege angewiesen sind. "Junge Pflege" heißt das Modell.

Auch Siegfried Zapf, Siggi, wie ihn die anderen nennen, wohnt in der Jungen Pflege. Elektriker, Weltenbummler, begeisterter Harley-Davidson-Fahrer - das war Siggi früher. "Er war in Brasilien und den USA", erzählen Stenger und Leesker anerkennend. Heute ist er nach drei Schlaganfällen rechtsseitig gelähmt und kann sich nur schwer artikulieren. Wenn's um Skat geht, macht ihm aber keiner so leicht etwas vor. "Siggi ist mit Abstand der beste Spieler", sagt Stenger. "Aber er kann schwer einsehen, wenn er mal einen Fehler gemacht hat." Auch Waters schlägt sich wacker beim Reizen und Ramschen. Er hat Skat einst von seinem Vater gelernt. Zum passionierten Spieler ist er im Heim geworden. "Früher war Tanzen mein Hobby."

Für die Skatrunde hat Stenger ein eigenes "Patent" entwickelt: Der Tisch wird auf vier Holzklötzchen aufgebockt, damit Holger Waters mit seinem Rollstuhl nah genug heranrücken kann. Das Holz hat Stenger rosa lackiert und mit der Aufschrift "Skatrunde" versehen. So weiß jeder im Haus Bescheid und wirft die Klötzchen nicht versehentlich weg. Auch beim Spielen brauchen Waters und Zapf Hilfe, so übernehmen Leesker und Stenger das Mischen und assistieren den beiden beim Einstecken der Karten in zwei mit Schlitzen versehene Brettchen - einfache Kartenhalter Marke Eigenbau. Die Gespräche des Quartetts kreisen vor allem um das Thema Sport: Tennis, Formel 1 und natürlich Fußball. Die Sympathien am Skattisch sind zwischen Gladbach, Dortmund und Bayern München verteilt.

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Foto: Christoph Reichwein

Stenger und Leesker können auch mit eigenen Fußball-Geschichten aufwarten. Die beiden, die sich "schon seit 100 Jahren" kennen, arbeiteten beide früher im Bergbau, beide kickten bei der DJK Lintfort, beide sind nach dem Eintritt in die Rente zum Team der Ehrenamtler von St. Hedwig gestoßen. Sie unterstützen das Pflegeteam zum Beispiel bei Feiern und Ausflügen oder begleiten Bewohner zum Gottesdienst in die Kapelle. Bis vor einigen Jahren haben Stenger und Leesker ein wöchentliches Kegeln organisiert. Ein großes Ereignis war der gemeinsame Ausflug von Bewohnern und Betreuern zum Eishockey nach Düsseldorf vor ein paar Monaten. Die Besucher aus Kamp-Lintfort durften in der Pause zu den DEG-Spielern aufs Eis. Ein Erinnerungsfoto wurde gemacht. "Ein tolles Erlebnis", sind sich die Skatbrüder einig.

(RP)
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