Interview mit Bauer Willi "Das Kilo Kartoffeln für einen Cent"

Rhein-Kreis Neuss · Mit einer Wutrede gegen Supermarkt-Kunden wurde Bauer Willi aus dem Rheinkreis Neuss im Internet ein Star. Im Interview legt er nach.

 Bauer Willi hat mit seinem Wutbrief im Internet für Furore gesorgt.

Bauer Willi hat mit seinem Wutbrief im Internet für Furore gesorgt.

Foto: Hans Jazyk

"Du hast keine Ahnung, aber davon ganz viel", schreibt Bauer Willi* in seinem offenen Brief an die Verbraucher. Der Landwirt vom Niederrhein hat in einem emotionalen Aufsatz niedergeschrieben, was ihn wütend macht (hier nachlesen). Das ist eine ganze Menge.

Zum Beispiel die Tatsache, dass der Nachbar-Landwirt für seine Kartoffeln, die für Tiefkühl-Pommes-Frites bestimmt sind, lediglich 1 Cent pro Kilo erhält — 250 Euro für eine komplette LKW-Ladung mit 25 Tonnen. Am meisten aber provozieren ihn die Ansprüche der Verbraucher, die davon ausgehen, dass Lebensmittel nicht nur unter besten Bedingungen angebaut und produziert werden, sondern auch spottbillig sein sollen.

Der Brandbrief, in dem er seine Gedanken formulierte, verbreitete sich im Internet via Facebook in kürzester Zeit. Nach wenigen Tagen hatte die bis dahin wenig frequentierte Internetseite mehr als 250.000 neue Leser. Als Reaktion auf einige dieser Kommentare relativierte er einige seiner Aussagen. Nun gibt Bauer Willi den Medien Interviews und wird zu TV-Talkshows eingeladen.

Bauer Willi, sind wir wirklich alle so dumm, wie Sie es in Ihrem Brief behaupten?

Der Verbraucher ist nicht nur naiv, er ist in gewissem Maße auch unehrlich. Als Landwirt muss ich mich ständig verteidigen: Verwende ich Gentechnik? Setze ich Pestizide ein? Befürworte ich Massentierhaltung? Aber die gleichen Verbraucher, die ständig kritisch nachfragen, gehen anschließend beim Discounter einkaufen.

Also sollten wir nur noch Bio-Produkte kaufen und alles wäre gut.

Bio ist inzwischen ein riesiger Markt: Die internationale Konkurrenz drängt nun auch auf den deutschen Markt und zerstört die Preise. Generell ist mir egal, was die Leute kaufen. Aber wer ein ganzes Hähnchen für 2,49 Euro kauft, darf sich nicht anschließend über Massentierhaltung aufregen. Wer ein unter Optimal-Bedingungen großgezogenes Hühnchen essen will, muss mindestens zehn Euro bezahlen. Aber dieses Geld wollen die meisten nicht zahlen. Das ist meiner Ansicht nach schizophren.

Ihre Forderung: Wir müssen Lebensmittel mehr wertschätzen.

Auf jeden Fall. Was mindestens genauso wichtig ist: Man sollte bedenken, dass die Weiterverarbeitung von Lebensmitteln dem Erzeuger vom Erlös abgeht. Früher kamen die Lebensmittel vom Bauern über den Metzger oder Bäcker direkt in die Küche. Heute gehen die Zutaten für beispielsweise eine Tiefkühl-Pizza vom Bauern erst zum Teigproduzenten, dann in die Pizzafabrik, von dort ins Zentrallager und in den Supermarkt. Anschließend landen sie in der Küche, und von dort geht es oftmals direkt in den Müll. Der Durchschnittsdeutsche wirft jährlich Lebensmittel im Wert von 233 Euro weg. Das macht rund 19 Milliarden Euro im Jahr aus.

Inwiefern betrifft Sie das als Landwirt?

Ich produziere zum Teil auch für die Tonne. Und das hat mal Geld gekostet, das irgendjemandem in dieser Wertschöpfungskette nachher fehlt.

Was wäre ein Ausweg?

Der Ausweg ist einfach: Weniger Fertigprodukte nutzen, stattdessen wieder selbst kochen. Der Preis für Zutaten aus dem Supermarkt, um daraus selbst vier frische Pizzen zu backen, beträgt 3,30 Euro. Das ist doch nicht teuer — macht aber Arbeit.

Der Supermarkt-Kunde freut sich generell, wenn er Schnäppchen machen kann. Haben die Discounter die Preisspirale nach unten selbst verursacht?

Gehirnforscher haben herausgefunden, dass Rabatte im Gehirn wie Kokain wirken. Schuld an dem Preisverfall und den damit einhergehenden Produktionsbedingungen für Lebensmittel hat nicht die Industrie, sondern eindeutig der Verbraucher. Denn er hat immer die freie Entscheidung, welches Hähnchen er wählt: Das für 2,49 oder für 4,49 Euro. Der Verbraucher hat es im wahrsten Sinne des Wortes in der Hand.

Oftmals weiß man aber gar nicht, unter welchen Bedingungen die Produkte entstanden sind.

Das ist genau der Knackpunkt. Wenn wir von allem wüssten, wie es hergestellt wurde, würden wir uns anders verhalten. Die Berichterstattung über die Kleiderfabriken in Bangladesch haben dafür gesorgt, dass nun einige Billig-Modemarken, die dort produzieren lassen, ernsthafte Probleme bekommen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Milch aus dem Supermarkt von einer Kuh stammt, die schonmal eine Weide gesehen hat?

Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Wenn sich 1500 Kühe auf einer Weide ausbreiten würden, würden sie die Wiese in kürzester Zeit platttreten. Dass die Kuh auf die Weide kommt, ist aber auch gar nicht notwendig. Moderne Ställe sind Wohlfühlhotels für Kühe — ganz anders als noch vor 40 Jahren. Wenn einzelne Landwirte ihre Kühe heute tatsächlich auf die Weide schicken, hat das oftmals andere Gründe. Die Schweiz zahlt den Bauern zum Beispiel eine Prämie, wenn die Kuh auf der Alm ausgeführt wird. Das ist schließlich so schön für die Touristen anzuschauen.

Was müssen wir tun, um uns besser zu ernähren?

Nachdenken, wie die Lebensmittel zu dem angebotenen Preis eigentlich produziert wurden. Und einfach mal beim Bauern in der Nachbarschaft vorbeischauen. Sie müssen ja nichts kaufen. Aber Sie können Ihn doch einfach mal fragen, wie er arbeitet. Danach sind Sie in jedem Fall schlauer.

Sven Grest führte das Gespräch.

* Name der Redaktion bekannt

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