Neuss Eine Hommage an den gefühlvollen Tanz

Neuss · Das "Cedar Lake Contemporary Ballet" aus New York beweist bei den Internationalen Tanzwochen, dass es wandelbar ist. Drei Einakter, die unterschiedlicher hätten nicht sein können, zeigten atemberaubende tänzerische Leistungen.

 In "Necessity, Again" von Jo Strømgren wird diese Tänzerin in einem Kleid aus Zetteln und zu beschwingter Musik des Liedermachers und Chansonniers Charles Aznavour in die Luft gehoben.

In "Necessity, Again" von Jo Strømgren wird diese Tänzerin in einem Kleid aus Zetteln und zu beschwingter Musik des Liedermachers und Chansonniers Charles Aznavour in die Luft gehoben.

Foto: Paulo Lobo

Düster präsentiert sich die Stadthallen-Bühne zum Auftakt des Gastspiels des "Cedar Lake Contemporary Ballet" bei den Internationalen Tanzwochen. Die Augen müssen sich anstrengen, um den schnellen und fließenden Bewegungen der 14 Tänzer der New Yorker Company im Zwielicht folgen zu können.

Beethovens Klaviersonate Nr. 32 erklingt leise, fast zu leise. Sie wird überlagert von dumpfen Schritten, die das Halbdunkel schluckt. Menschliche Körper verschwinden, lassen eine Anonymität zurück.

Ein Effekt, auf den der israelische Choreograph Emanuel Gat in seiner jüngsten Kreation "Ida?" setzt. Beim Publikum in der fast ausverkauften Stadthalle hinterlässt die Szenerie durchaus Verstörung. Es ist schwer, sich auf die zum Teil hektisch zueinanderfindenden und sich gleichzeitig wieder trennenden Gruppen einzulassen.

Das spielerische Nachdenken über die Natur der menschlichen Beziehungen kommt vor allem in den Soli zur Geltung. Gliedmaßen blitzen plötzlich in grellem Licht auf. Die Körper bewegen sich fließend, fast gummiartig: Eine atemberaubende tänzerische Leistung wird (endlich) sichtbar.

Das zweite Stück des Abends, "Tuplet" von Alexander Ekman, überzeugt und versöhnt das Publikum schließlich mit Eindeutigkeit. Spontaner Zwischenapplaus für die lustige Inszenierung des Schweden. Am Rhythmus orientiert, treibt Ekman sechs Tänzer in blauen Anzügen auf weißen Matten an.

Wie ferngesteuerte Roboter bewegen sie sich: Klare Anweisungen oder ein "Ka-wumm" lassen die Tänzer fallen, wieder aufstehen und ihre Körper zu Percussion-Instrumenten werden. Rhythmisches Schlagen auf Oberschenkel und Rücken erklingt, während im Hintergrund Filmaufnahmen einer Jazzband zu sehen sind und "Fly me to the moon" eingespielt wird.

Höhepunkt des Einakters, der um die Frage "Was ist Rhythmus?" kreist, ist ein tänzerisches Schattenspiel. Wie in einem lebendig gewordenen Scherenschnitt bewegen sich der Tänzer und sein Schatten vor einer weißen Wand, Slapstick-Szenen inklusive. Das Publikum antwortet mit langanhaltendem Applaus und Jubelrufen.

Worte bestimmen dagegen das letzte Stück. Unzählige Briefe und vollgeschriebene Seiten bilden die Kulisse für "Necessity, Again". Dem Norweger Jo Strømgren geht es um den Gegensatz von Wort, Text und Tanz und um den Freiraum zwischen den Worten.

Zu beschwingten, harmonischen Chansons von Charles Aznavour zeigen die Tänzer Gefühle, für die keine Namen gefunden werden müssen. Zwischen Zettel, die auf dem Boden liegen, die in die Luft geworfen werden oder an Wäscheleinen hängen, ersetzt Bewegung das rationale Denken.

Eingespielte Texte des französischen Philosophen Jacques Derrida bilden die Klammer für "Necessity, Again". Es ist eine Hommage an die große Freiheit des Ausdrucks. Ein Tanzstück im wahrsten Sinne des Wortes. Für die Augenblicke, in denen man nur noch fühlen konnte, dankt das Publikum schließlich dem "Cedar Lake Contemporary Ballet" mit mehrfachem Beifall und anerkennenden Worten.

(jn)
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