Ratingen Als "weiße Magier" den Gerichten halfen

Ratingen · In einem Hexenprozess kam im Jahr 1499 mit "Meister Conrat" aus dem niederrheinischen Alpen ein Zauberer ins Spiel, der den angeklagten Frauen einen "Wahrheitstrank" verabreichte. Soweit nur eine von zahlreichen Besonderheiten der frühen Fälle von Hexenverfolgung in Ratingen und Angermund um die Wende zum 16. Jahrhundert.

Ratingen: Als "weiße Magier" den Gerichten halfen
Foto: Janicki, Dietrich (jd-)

Folter, Magie, Wahrheitssuche, Zauberei und Rechtsprechung - dies alles fügt sich in den frühen Ratinger und Angermunder Hexenprozessen wie selbstverständlich zusammen. Das belegen gut erforschte Dokumente aus dieser Zeit. Hinzu kommen frühneuzeitliche Formen der Bürokratie, wie die Quittung des Angermunder Kellners (eine Art Buchhalter). Sie ist akkurat - ein Verwaltungsakt eben, auch, wenn es um die präzisen Kosten von Folterungen geht. Diese werden in der Rechnung übrigens "Versuche" des Scharfrichters genannt: "Sodann für Seil, Kerzen, Pech, Schwefel, Harz, Wachs, Öl und anderes zu den Versuchen 9 Albus, 6 Denar leicht gegeben, macht schwer 6 Albus 4 Schilling brabans. Sodann ist der Scharfrichter von Essen noch vier Tage mit einem Knecht in Ratingen gewesen. Ihm für Zehrung und Anschläge 3 Gulden leicht gegeben, macht 2 Gulden schwer, macht 4 Mark brabans."

Am Ende ergänzt sie der Kellner allerdings um eine Bemerkung, die Dr. Erika Münster-Schröer schlicht "sensationell" nennt: "Sodann hat die Frau in dem Gefängnis Nahrung verbraucht, die ich bezahlt habe, da sie eine arme Frau ist, die weder Freund noch Verwandten hat, der ihr die Hand gereicht hat." Die Ratinger Archivleiterin interessiert sich seit langer Zeit für das Thema Hexenverfolgung in Ratingen und in der Region. "Aber eine solche Bemerkung ist schon sehr außergewöhnlich. Ein Kellner drückt in einer offiziellen Rechnung so etwas wie persönliches Mitleid aus. Das habe ich in dieser Form sonst nirgends gelesen."

Für die Historikerin sind die frühen Ratinger und Angermunder Hexenverfolgungen 1499/1500 aus mehreren Blickwinkeln heraus Sonderfälle. Zumal sie lange vor der Zeit der Massenverfolgungen in den 1590er Jahren in ganz Deutschland lagen. Von August 1499 bis März 1500 beschäftigte sich die Gerichtsbarkeit mit ihnen. "Das kann man durchaus als Indiz dafür sehen, dass hier ernsthaft nach Wahrheit geforscht wurde. Dafür hat man im ganzen Verfahren viel getan." Für zwei der Angeklagten endete ihr Martyrium im März des Jahres 1500 mit der Verbrennung, vermutlich am alten Richtplatz An der Vest. Am Verfahren waren Schöffen aus Ratingen, Kaiserswerth und Angermund beteiligt.

Ratingen: Als "weiße Magier" den Gerichten halfen
Foto: Janicki, Dietrich (jd-)

Andere Frauen wurden freigesprochen, wie Yrmen und Bilien Neckels. Auch diese Fälle sind gut dokumentiert. Der zentrale Vorwurf gegen die Frauen lautete auf "Zauberei" (in alten Akten "toverie" genannt). Auch damit setzt sich der ganze Vorgang von späteren Hexenprozessen ab.

Zwar zeige ein frühes Geständnis, dass der (theologisch) gelehrte Hexenbegriff schon geläufig war. In einer Studie zu den Prozessen schreibt Münster-Schröer weiter: "Es handelt sich bei den Vorwürfen gegen die betroffenen Frauen vordergründig um Schadenszauber, der schon lange bekannt war. Die Milch sollte verdorben oder das Vieh krank geworden sein." Etwa zeitgleich kam eine sich schnellverbreitende Hexenlehre in Umlauf. "Der sogenannte ,Hexenhammer', ("Malleus maleficarum"), verfaßt von dem Dominikaner Heinrich Kramer (Institoris), der 1487 erschienen war und Ende des l5. Jahrhunderts auch in Köln gedruckt wurde, trug sicherlich zur Verbreitung der dort dargelegten Hexenlehre bei. Als Hauptfeindin der rechten Lehre wurde darin einzig die Frau angesehen, und es wurden genaue Anweisungen zur Führung von Hexenprozessen geliefert. Allerdings waren viele der im "Hexenhammer" verbreiteten Ansichten nicht neu und durch katechismusähnliche Werke auch am Niederrhein zum großen Teil schon vorher bekannt", so Münster-Schröer weiter.

Das Vorgehen der Obrigkeit in Angermund hatte indes mit Theologie und scholastischen Betrachtungen nichts zu tun. Schon eher mit einer Art von Wahrheitsfindungs-Magie. So war "Meister Conrat", der weiße Magier mit dem Wahrheitstrank, seinerseits nichts anderes als ein Zauberer. Einer allerdings, dem man seine Kraft als "von Gott verliehen" nachsagte. Das Ergebnis seiner Bemühungen - per Wahrheitstrank zur Wahrheitsfindung - findet seinen Niederschlag in einer von Schöffen unterzeichneten Urkunde, die heute im Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv liegt. Dabei kam diese beim ersten Hinsehen eher krude Mixtur aus Rechtsprechung und Magie nicht von ungefähr. Auch das erläutert die Archivleiterin: "Zur Erklärung können volksmagische Vorstellungen beitragen, die um 1500 noch gängig waren. Generell ging man vom ambivalenten Charakter der Magie aus, indem man annahm, sie könne Gutes oder Böses bewirken." Aber auch weiße Magier gerieten wenige Jahrzehnte später selbst in den Fokus der Gerichtsbarkeit - man ging gegen sie vor.

(RP)
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