Ratinger Landwirt Robert Kückels Wie "Kyrill" mein Leben veränderte

Ratingen · Als das Orkantief vor zehn Jahren über Europa zog, half Landwirt Robert Kückels der Ratinger Feuerwehr, eine Straße frei zu räumen. Dabei wurde er unter umstürzenden Bäumen begraben und schwer verletzt.

 Robert Kückels sitzt seit zehn Jahren im Rollstuhl - er ist seit dem schweren Unfall querschnittsgelähmt. Doch mit seinem Elektrorollstuhl ist er so mobil, dass er damit durch Ratingen fahren kann.

Robert Kückels sitzt seit zehn Jahren im Rollstuhl - er ist seit dem schweren Unfall querschnittsgelähmt. Doch mit seinem Elektrorollstuhl ist er so mobil, dass er damit durch Ratingen fahren kann.

Foto: Andreas Bretz

Am Tag des Sturms, der sein Leben verändern sollte, fuhr Robert Kückels mit seinem Auto durch die Nachbarschaft, um sich ein Bild von der Lage zu machen. An jenem Tag tobte das Orkantief "Kyrill" über Europa; der Sturm legte weite Teile Deutschlands lahm, vielerorts fiel der Strom aus, der Bahnverkehr wurde zeitweise eingestellt. Landwirt Kückels, damals 65 Jahre alt, eilte der Ratinger Feuerwehr zu Hilfe und war gerade dabei, Baumstämme von einer Straße zu ziehen, als zwei Bäume umknickten und ihn unter sich begruben. Schwer verletzt kam er in ein Krankenhaus. Seitdem sitzt er im Rollstuhl. Dennoch sagt der inzwischen 75-Jährige: "Wenn ich könnte, würde ich auch heute wieder zu so einem Einsatz fahren."

40 Jahre lang war Kückels Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr im Ratinger Stadtteil Eggerscheidt. Wenn er zu einem Einsatz gerufen wurde, zögerte er nicht. "Dann blieb der Betrieb liegen, und ich bin losgefahren", sagt er, seine Augen leuchten bei der Erinnerung. Die Feuerwehr schätzte Kückels Einsatz. Als Landwirt schaffte er beispielsweise bei Waldbränden mit eigenen Maschinen problemlos Wasser- oder Güllefässer heran - und anpacken, das konnte Kückels sowieso.

Der 17. Januar 2007 hat sich Kückels ins Gedächtnis gebrannt. "Kyrill" hatte am Morgen die Region erreicht und rüttelte inzwischen bedrohlich an Häusern, Bäume schwankten, etliche waren umgeknickt. "Der Sturm war voll im Gang", erinnert sich Kückels. An der Mülheimer Straße, einer wichtigen Verbindungsachse zwischen Lintorf im Norden und dem Ratinger Zentrum im Süden, winkten ihn seine einstigen Kameraden heran und baten um Unterstützung. Die Fahrbahn war mit umgestürzten Bäumen übersät. Autos und Busse steckten fest. Obwohl Kückels schon fünf Jahre zuvor altersbedingt aus der Freiwilligen Feuerwehr ausgeschieden war, zögerte er auch dieses Mal nicht.

Bei vollem Bewußtsein merkte er, dass seine Beine nicht mehr gehorchten

Am Nachmittag des 17. Januar vor zehn Jahren zog er gerade ein Drahtseil unter zwei Baumstämmen durch, als neben ihm ein Kollege seine Motorsäge sinken ließ und wegrannte. Kückels drehte sich um, die Männer um ihn herum winkten. Dann sah er zwei Bäume in seine Richtung fallen. Mit einem Sprung unter das Dach des Schleppers versuchte Kückels sich zu retten. Doch die Äste peitschten ihn aus der Kabine heraus und schleuderten ihn mehrere Meter weit. Kückels war bei vollem Bewusstsein, als er feststellte: Seine Beine gehorchen ihm nicht mehr.

Torsten Schams war damals Einsatzleiter der Feuerwehr in Ratingen. "Dass wir Landwirte wegen ihrer Maschinen bei Einsätzen um Hilfe bitten, ist Routine", sagt er. An jenem Nachmittag war er zur Mülheimer Straße gefahren und gerade erst aus dem Wagen gestiegen, als die Bäume auf Landwirt Kückels stürzten. "Wir haben ihn sofort befreit und den Rettungswagen gerufen", erinnert sich der 50-Jährige. Das Ausmaß der Verletzungen war zu dem Zeitpunkt noch nicht zu erkennen. Die Einsatzkräfte arbeiteten weiter. "Mit der Gefahr, dass wieder etwas passieren konnte, mussten wir leben", sagt Schams, heute Kreisbrandmeister im Kreis Mettmann. Er fuhr zum Hof der Familie und überbrachte die Nachricht.

Kyrill forderte 47 Todesopfer

"Kyrill" hatte in Europa eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. 47 Menschen starben, sechs von ihnen in Nordrhein-Westfalen. Häuser wurden abgedeckt, Lastwagen stürzten um. In NRW wurden mehr als 25 Millionen Bäume entwurzelt, der Schaden belief sich auf mehr als 1,5 Milliarden Euro. Erstmals in ihrer Geschichte hatte die Deutsche Bahn bundesweit den Verkehr eingestellt. Hunderte Flüge wurden gestrichen, Fährverbindungen eingestellt. Wetterdienste maßen Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 Stundenkilometern. "Der Sturm war auch deswegen so schlimm, weil er ein breites Windfeld hatte", sagt Gerhard Lux vom Deutschen Wetterdienst. Der hatte damals für Regionen in mehr als der Hälfte der Bundesländer eine "extreme Unwetterwarnung" und damit die höchstmögliche Warnstufe ausgegeben. "Seitdem gab es nichts Vergleichbares", sagt Lux. ",Kyrill' war bislang der letzte große, zerstörerische Orkan."

Ein Jahr nach Kyrill verlässt Kückels das Krankenhaus

Für Kückels war nach dem Unfall das Leben, das er kannte, vorbei. Sein Brustkorb war in die Lungen gedrückt worden, das Becken kaputt, der rechte Oberschenkel an drei Stellen sowie beide Unterschenkel gebrochen. "Hinzu kommt die Querschnittslähmung", sagt er nüchtern und faltet die Hände. Zwölf Tage lang lag er im Koma, es folgten Wochen und Monate in Krankenhäusern und Reha-Kliniken. Auf den Tag genau ein Jahr nach "Kyrill" wurde Kückels nach Hause entlassen.

Ziemlich schnell war klar, dass der heute 75-Jährige in seinem Bauernhaus nicht mehr würde wohnen können. 1883 war das Gebäude errichtet worden und befindet sich seitdem in Familienbesitz. Es gibt viele Stufen und enge Kurven, bei denen auch der neu eingebaute Treppenlift nicht helfen konnte. Das Bad war zwar kurz zuvor renoviert worden, aber nicht behindertengerecht ausgestattet. "Das war für mich kein Leben mehr da oben", sagt Kückels. Vom Küchentisch aus kann er durchs Wohnzimmerfenster auf das Backsteingebäude blicken. Im ersten Stock hatte er sein Schlafzimmer. Einst baute er Getreide, Zuckerrüben und Kartoffeln an und besaß Milchkühe. Heute führt der Sohn den Betrieb. Kückels und seine Frau Marlies (69) bezogen einen Bungalow auf der anderen Straßenseite. Am vergangenen Sonntag kam der acht Wochen alte Zwergdackel "Timmy" dazu.

Kückels ist bisher 6000 Kilometer mit seinem Rollstuhl gefahren

Seinen Alltag, wie er heute ist, hat sich Kückels in unzähligen Stunden an Trainingsgeräten mühsam erkämpft. Er kann seine Unterschenkel wieder bewegen und mit den Zehen wackeln. An einem Rollator mit Armstützen kann er für kurze Zeit sogar stehen. "Die meisten Dinge kriege ich alleine hin", sagt er, "beim Rest hilft meine Frau."

Der Rentner, graue Haare, Hemd, dunkelroter Pullunder, ist viel in seinem motorisierten Rollstuhl unterwegs. Fast 6000 Kilometer ist er in den vergangenen Jahren gefahren. Seit kurzem besitzt er einen Bulli, in den er mit seinem Rollstuhl reinfahren und den er alleine bedienen kann.

Kückels fühlt sich weiterhin mit der Feuerwehr verbunden, auch wenn er selbst nicht mehr helfen kann. Bei Grillabenden und Generalversammlungen ist er immer dabei. Wenn sein Sohn von Einsätzen mit der Freiwilligen Feuerwehr zurückkommt, muss er dem Vater berichten, wie es gelaufen ist. Kückels erklärt: "Man fiebert immer noch mit."

(RP)
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