Ratingen Sie kennt jeden Pflasterstein der Stadt

Ratingen · Helga Langheinrich ist eine von fünf Stadtführerinnen in Ratingen. Sie kennt die lokale Geschichte in- und auswendig. Langheinrich folgte vor 20 Jahren einem Aufruf.

Wer mitten im Leben stehen will, der sollte mal eine Stadtführung - leiten. Da kann man Spaß haben, da kann man auch über Schlaumeier staunen, da erfährt man dennoch überwiegend Dankbarkeit und Wissbegierde. Nur Trinkgeld, das gibt es nicht. So hat es Helga Langheinrich in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfahren. Seit dieser Zeit ist sie rund dreimal jährlich im städtischen Auftrag erzählend und erklärend in der Stadt unterwegs und ein paarmal frei gebucht.

Der Vater kam aus Böhmen - sprach aber hochdeutsch. Und die Mutter, die irgendwann mit ihrem Mann nach Ratingen gezogen war, trauerte ein Leben lang ihrer Düsseldorfer Heimat nach. Doch das Kind Helga wurde 1940 in Ratingen geboren, besuchte hier die Schule und machte anschließend die damals noch so genannte Mittlere Reife in Düsseldorf. Sie absolvierte dann eine Lehre zur Versicherungskauffrau, lernte in der Firma ihren späteren Mann Adolf kennen.

Geheiratet wurde 1961, ein Haus bauten die beiden drei Jahre später. Damals standen ringsum nur ein paar Häuser in Ost - was sich bis heute mächtig geändert hat. Doch immer noch ist ihres mit gepflegtem Garten ein Schmuckstück. Immerhin entwickelte sich ringsum eine vertraute Nachbarschaft. Dazu gehört auch Karin Norres, die nicht nur die gute Beziehung von Haus zu Haus pflegt, sondern auch Stadtführungen mit Helga Langheinrich mitgemacht hat und sie schon einmal für auswärtige Gäste gebucht hat. "Sie hat außer ihrem umfassenden Wissen über Ratingen auch noch eine tolle Art, sich auf ihre Zuhörer einzustellen", meint sie begeistert.

Helga Langheinrich erinnert sich noch daran, wie ihr Job als Stadtführerin begann. "Es gab einen Aufruf der Stadt - man suchte Damen und Herren, die hin und wieder einmal mit interessierten Besuchern durch die Historie wandern sollten. Und es kamen zum ersten Treffen 37 Leute". Bei der nächsten Zusammenkunft konnten sie inzwischen erlernte Fakten zum Besten geben und sich so qualifizieren. Dennoch schrumpfte das Kränzchen schon bald auf die fünf Stadtführerinnen zusammen, die auch heute noch unterwegs sind. Dazu kommen gelegentlich der Vorsitzende des Heimatvereins, Michael Lumer, der unter anderem den Ratinger Kunstweg "abradelt" und Kulturamtsleiterin Andrea Töpfer. Die Spezialität, die Helga Langheinrichs Führungen auszeichnet, ist ihr Wissen über das örtliche Karnevalsgeschehen. So besichtigt sie mit ihren Gruppen das Heim der rot-weißen Funken - den Kornsturm - und erzählt von den Brunnen-Gemeinschaften. Das waren eigentlich Mitglieder einer Nachbarschaft, die sich am Brunnen - von denen im engeren Innenstadtbereich noch drei zu sehen sind - trafen und Neuigkeiten austauschten. Man konnte es auch tratschen nennen.

Als Ratingen dann mit Wasserleitungen ausgestattet worden war, fanden die zwangsläufigen, täglichen Treffen der Bürger rund um die Brunnen nicht mehr statt. Aber auf die Feiern, die schon früher zu den Höhepunkten der Gemeinschaften gehört hatten, wollte niemand verzichten. Sie gab es dann vornehmlich zu Karneval. Unter anderem ist die Traditions-Karnevalsgesellschaft "Spiesratze" so entstanden.

Mal erzählt die Stadtführerin was nach Art oder was aus dem rhetorischen Schatzkästchen von Hanns Dieter Hüsch, mal sind Geschichtszahlen gefragt, immer aber sind es die wirklich guten Erzählungen, die vor ihren Zuhörer die alte Stadt lebendig und ihre Bewohner greifbar werden lassen. Sie hat mit behinderten Teilnehmern wunderbare Führungen erlebt und mit aufgeweckten Kindern auch. Stories gibt es genug am Schnittpunkt von Rheinland, Niederrheinlandschaft und Bergischem Land und den Menschen, die hier ihre Heimat haben. Und um die zu beschreiben, greift sie gern auf Hüsch zurück: "Der Niederrheiner ist überhaupt zu allem unfähig. Er weiß nix, kann aber alles erklären. Umgekehrt: Wenn man ihm etwas erklärt, versteht er nichts, sagt aber dauernd: Is doch logisch". Die Langheinrich-Führungen aber sind verständlich. Ist doch auch logisch.

(gaha)
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