Ratingen Staffelübergabe an der Stadtgrenze

Ratingen · Die Linie 712 fährt an diesem Wochenende zum letzten Mal. Dann wird sie von der U 72 abgelöst. Sie ist neun Minuten schneller dank Wehrhahn-Tunnel. Ein Blick zurück in die lange Geschichte.

 Die historische 12 trifft auf den Silberpfeil. Auch der ist ab Morgen Geschichte.

Die historische 12 trifft auf den Silberpfeil. Auch der ist ab Morgen Geschichte.

Foto: Wilhelm Budde

Man kann heutzutage ohne Zweifel einfacher in die Linie 712 einsteigen oder sie verlassen, mehr Ecken in Düsseldorf erreichen - doch die alten Bahnen waren mit Besonderheiten ausgestattet, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann. Dazu braucht man nicht mal generell den guten, vergangenen Zeiten nachzuheulen. Als die Bahn-Verbindungslinie zwischen Ratingen und Düsseldorf noch "12" hieß, führte sie hoch oben am Dach ein elegantes, leicht gebauchtes Emailleschild mit den beiden Ziffern.

Bis in die letzten 50er Jahre wurden Bahnen gebaut, deren Zugwagen an beiden Enden offene, wenngleich überdachte Plattformen hatte, die man Perron nannte. Oft rannten Fahrgäste, die zu spät dran waren, hinter den Bahnen her und sprangen dort auf.

 Die 12 war in den 30er Jahren die letzte Hoffnung für Narren, die in Düsseldorf am Rosenmontag den Frohsinn suchten.

Die 12 war in den 30er Jahren die letzte Hoffnung für Narren, die in Düsseldorf am Rosenmontag den Frohsinn suchten.

Foto: Stadtarchiv Ratingen

Gelegentlich gab es furchtbare Unglücke dabei. Wer es allerdings heil geschafft hatte, gelangte in den mittleren, geschlossenen und im Winter beheizten Wagenteil, in dem er feinste Messinggriffe gleichzeitig mit dem Daumen entsperrte und zu den Seiten zog.

Der Schaffner, der im Zugwagen Dienst schob, war befugt, eine schlappe Lederleine in Kopfhöhe zu betätigen und mit einmaligem Klingeln die Abfahrt, mit zweimal Klingeln den Halt und mit mehrfachem Betätigen einen Nothalt zu signalisieren. Die wenigen Groschen, die die Fahrt kostete (mit Ausnahme des Herbstes 1923, als Fahrpreise von 80.000 bis in die Millionen gehende Reichsmark-Summen verlangt wurden) landeten in einem Metallbehälter namens Wechsler. Der hatte Schächte, die jeweils passenden Münzen Platz boten und die mit einem Lederbeutel fürs Papiergeld ausgestattet waren.

War es dem Schaffner zu kalt, kassierte er durch ein heruntergelassenes Kläppchen aus dem Innern des Wagens die Fahrgäste auf dem Perron ab. Später mussten die Fahrgäste durch die hinterste Tür einsteigen, weil der Schaffner sitzend hinter einem Pult residierte und die Fahrkarten verkaufte. Dies alles geschah in Uniform. Und Haltestellen wurden live über einen Lautsprecher verkündet.

Lebenserhaltend und bis auf einen Vorfall im Jahr 1982 unfallfrei funktionierte die Sache mit dem Staffelholz: An der Stadtgrenze gab es eine Strecke, die nur einzügig befahren werden konnte. Das bedeutete allerdings, dass der Fahrer, der die Strecke befahren hatte, bei Ten Eicken einen Holzstab an den entgegen kommenden Fahrer weiterreichte, der dann gefahrenlos nach Ratingen durfte.

Wehrhahn-Linie in Düsseldorf - eine Chronik
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So entsteht die Wehrhahn-Linie - eine Chronik

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Foto: Joris Hielscher

Mehrfach hat die Stadtverwaltung beantragt, dass bei geplanten Bauvorhaben der Linie 12 deren Gleise bis zum Markt verlängert werden sollten. Das geschah nicht, wohl aber wurde die Bahn jahrelang, als es noch keine Schleife gab, aufs einfallsreichste für Hin- und Herfahrt positioniert. Sie fuhr ungefähr bis zur Wallstraße. Dann wurde der Triebwagen abgekoppelt, ein bisschen weiter gefahren und über eine umgelegte Weiche an den anderen Wagen vorbei und zurück bis etwa in die Höhe der Hausnummer 42 gefahren. Bei Übermut wurde mit Sand gebremst.

Wilhelm Budde, der auch mit 80 Jahren noch Bahnmärchen aus dem Effeff erzählen kann, tut das gelegentlich bei Oldie-Fahrten. Er ist "Stadterklärer" und für die Rheinbahn unterwegs. Und er liebt die historischen Züge so sehr wie viele Schweizer ihre Bahnen, die sie sehr herzlich "das Tram" nennen. Die Haltestellen waren heimelig: Da gab es "Mädchenheim" (an der Stadtgrenze) "Caritasheim" (hinter Rath) und, besonders schön: "Honigheim". Diese Haltestelle hieß eigentlich Mörsenbroicher Weg, die benachbarte Kneipe aber Honigheim. Und einmal fuhr auch ein Sarg mit der Linie 12 von Düsseldorf nach Ratingen: Auf der Todesanzeige des Zimmermanns Peter Brinckmann, 1897 verstorben, steht: "Seinen Sarg transportiert die Rheinbahn bis zur Endhaltestelle in Ratingen. Die Leidtragenden werden gebeten, sich um 4 Uhr am Düsseldorfer Thor zu versammeln."

(gaha)
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