Remscheid Erdogans Arm reicht bis nach Remscheid

Remscheid · Im Vorfeld der Lesung der Bundestagsabgeordneten der Linken, Sevin Dagdelen, gab es im Internet eine Hetzkampagne. Auch die Vorsitzende des Integrationsrates Ankay Nachtwein wurde attackiert. OB Mast-Weisz verurteilt die Hetze.

Zwei kräftige Männer kontrollieren die Türe hinter dem Rednerpult im großen Gemeindesaal des alevitischen Vereins an der Lenneper Straße 1. Die beiden Mitarbeiter des Staatsschutzes besprechen kurz, wo sie ihre Plätze während der Lesung aus dem Buch "Der Fall Erdogan" der Bundestagsabgeordneten der Linken, Sevin Dagdelen, einnehmen werden. Draußen im Hof stehen mehrere türkische Männer. Sie haben die Aufgabe, aufzupassen, dass keine Randalierer plötzlich den Saal stürmen. Eine Lesung mit Bodyguards für eine gewählte Bundestagsabgeordnete? So etwas hat es in Remscheid noch nicht gegeben.

Für Metin Arslanoglu, Vorsitzender der alevitischen Gemeinde, ein Beleg dafür, dass der Konflikt zwischen den Anhängern von Premierminister Erdogan und seinen politischen Gegnern längst in Remscheid angekommen ist. Auf seinem Handy hat Arslanoglu ein paar Hassbotschaften gespeichert. Es handelt sich um verbale Vernichtungsfeldzüge. Alle Besucher zeigen sich nach der zweistündigen Veranstaltung mit 170 Menschen erleichtert, dass es zu keinem Zwischenfall gekommen ist. Arslanoglu hat nach eigener Aussage mit den Vertretern der Ditib-Gemeinde und von Milli Görüs telefoniert, mit der Bitte, "ihre Jungs in Zaum zu halten". Doch zu einer echten Entspannung haben diese Gespräche offensichtlich nicht geführt. Immerhin sind ein paar der schlimmsten Kommentare zur Lesung nach zwei Tagen auf der Internetseite "Remscheid li Türkler" gelöscht worden. Nicht aber zum Beispiel Beschimpfungen gegen die Vorsitzende des Integrationsrates Ankay Nachtwein (SPD), die noch ein paar Stunden vor der Veranstaltung im Netz kursierten. Sie wird darin verdächtigt, Anhängerin der Terrororganisation PKK zu sein und auch in anderer Weise beschimpft. Oberbürgermeister Mast-Weisz zeigt sich empört über die Hetzkampagne. "Das Recht der freien Meinungsäußerung ist unumstößlich mit unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung verbunden. Angriffe sind zu verurteilen und konsequent zu ahnden - auch das Internet ist kein rechtsfreier Raum", sagt der OB.

Wie soll man in diesen Zeiten mit Vertretern der Erdoganpartei AKP in Remscheids Partnerstadt Kirsehir umgehen? "Wir müssen Zivilcourage zeigen und aussprechen, was Fakt ist", sagt Arslanoglu. Er plädiert nicht für einen Abbruch der Kontakte, aber "die Demokratie muss bleiben", sagt der Vorsitzende. Er bezeichnet seine Gemeinde als eigenständig: "Wo Ungerechtigkeit entsteht, stehen wir immer an der Seite der Schwachen."

Eine ähnliche Position vertritt auch Dagdelen. "Der Dialog ist wichtig. Aber wir dürfen kein Gewaltregime unterstützen", sagt Dagdelen im Gespräch mit der BM.

In ihrem zweistündigen Vortrag berichtet sie über ihre Recherchen, wie der türkische Staat unter Erdogan eine Nebenaußenpolitik betreibe. Organisationen wie die Ditib, deren Prediger vom türkischen Staat in die Gemeinden geschickt werden, seien ein Beispiel dafür, wie Einfluss im Westen genommen werde. "Der Arm Erdogans reicht bis nach Remscheid", sagt Dagdelen.

Die Männer vom Staatsschutz bleiben auch beim nächsten Termin in Bottrop weiter an ihrer Seite. Freie Meinungsäußerung über Erdogan stört nicht nur einige Türken in Remscheid.

(RP)
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