Solingen Missbrauchsprozess biegt auf die Zielgerade ein

Solingen · Fast eine Stunde dauerte es, bis die Verteidigerin die ausführliche Begründung ihres Antrags verlesen hatte, den das Gericht schließlich jedoch abwies: Im Berufungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs an einer widerstandsunfähigen Person kämpfen die Prozessparteien am Wuppertaler Landgericht weiter mit harten Bandagen um die Wahrheit.

Ziel des gestrigen Antrags der Verteidigung war es, den Nebenkläger einer psychologischen Untersuchung zu unterziehen, um die Glaubwürdigkeit seiner Aussage zu überprüfen. Der 25-jährige Solinger beschuldigt einen ehemaligen Vorgesetzten, sich während einer gemeinsamen Geschäftsreise im Hotelzimmer an ihm vergangen zu haben. Wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung war der junge Mann schon in psychologischer Behandlung.

Der 43-jährige Angeklagte, der in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt worden war, bleibt bei seiner Version, dass es einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen beiden Männern gegeben habe. Seine Verteidigerin stellte am gestrigen vierten Verhandlungstag die These auf, die Beschuldigungen des Nebenklägers basierten auf einer Form von Einbildung und dem Versuch, tatsächliche Vorkommnisse aus Scham zu verdrängen. Die Staatsanwaltschaft wandte sich gegen den Antrag mit dem Argument, die Aufgabe des Gerichts, Aussagen der Prozessteilnehmer zu würdigen, dürfe nicht auf einen Sachverständigen abgewälzt werden. Dem folgte die Kammer.

Umfangreich war auch die Befragung einer Zeugin im Berufungsverfahren: Eine Hotelangestellte war aus Süddeutschland angereist, um die Prozessparteien mit den Gegebenheiten am Tatort vertraut zu machen. Denn in der Nacht vor dem vermeintlichen sexuellen Übergriff hatten die beiden Männer lange an der Hotelbar gesessen. Der 25-Jährige sagte aus, er habe beim Weg in die Zimmer seinen Schlüssel vermisst und überall danach gesucht. Weil er keine Möglichkeit gehabt habe, das Personal über den Verlust zu informieren, habe er schließlich im selben Zimmer mit seinem Vorgesetzten übernachtet - mit eben jenen Folgen, die das Gericht noch heute, zwei Jahre später, beschäftigen. Dass dieser Ablauf zumindest möglich war, ging aus der Aussage der Hotelangestellten hervor: Diese erklärte, sie kümmere sich nach der Schließung der Hotelbar zunächst üblicherweise um die Abrechnung, und erst etwa zehn Minuten später das Hauptportal des Hotels abzuschließen. Die Rezeption wäre demnach zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Schlüsselsuche unbesetzt, das Portal jedoch offen gewesen.

Wenn in den nächsten Tagen keine weiteren Anträge mehr folgen, sollen am nächsten Prozesstag, der für den 30. April angesetzt ist, die Plädoyers auf dem Programm stehen.

(ied)
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