Schwalmtal Erwachsene helfen als Messdiener aus

Schwalmtal · Viele Kinder haben keine Zeit, Gottesdienste oder Beerdigungen zu begleiten. In Schwalmtal haben sich dafür Erwachsene gefunden

 Heinz-Theo und Doris Schlippes engagieren sich in Schwalmtal als Messdiener und springen ein, wenn Kinder keine Zeit haben. RP-Foto: Jörg Knappe

Heinz-Theo und Doris Schlippes engagieren sich in Schwalmtal als Messdiener und springen ein, wenn Kinder keine Zeit haben. RP-Foto: Jörg Knappe

Foto: Knappe

Doris Schlippes zieht an der Glocke. Orgelmusik erklingt. Gemessenen Schrittes verlässt die Messdienerin die Sakristei und betritt mit dem Priester den Altarraum. Der Gottesdienst beginnt.

So weit, so gewöhnlich. Das einzig Ungewöhnliche: das Alter der Messdienerin. Denn Schlippes ist 70 Jahre alt. Sie gehört zu einer Gruppe von zehn Erwachsenen, die in der Pfarrei St. Matthias Schwalmtal als Messdiener tätig sind - obwohl sie das gewöhnliche Ministranten-Alter längst überschritten haben. Unter ihnen sind Männer und Frauen. Die jüngste ist 25, die älteste 80 Jahre alt. Einige waren als Kinder schon Messdiener, andere lernten erst vor einigen Monaten, was man tun muss, wenn man eine Messe dient.

Vor einem Jahr gab es in der Pfarrei einen Aufruf: Erwachsene wurden gebeten, sich zu melden, um als Ministranten einzuspringen, wenn Kinder und Jugendliche keine Zeit haben. Pastor Thorsten Aymanns hatte festgestellt, dass es immer schwieriger wurde, Messdiener zu finden, die nachmittags einen Gottesdienst begleiten konnten: Durch den Ganztagsbetrieb an Schulen und Hobbys haben viele Kinder und Jugendliche heute weniger Zeit als früher. Und Beerdigungen konnten die Kinder ohnehin nicht begleiten: Beisetzungen finden morgens statt, da sind die Kinder in der Schule.

Heinz-Theo Niehsen, der sich in Waldniel auch als Lektor engagiert, hatte die Idee, Erwachsene einzusetzen. Der 63-Jährige war selbst dazu bereit. Er suchte Mitstreiter und fand sie - nicht nur in Waldniel, sondern auch in Amern und Merbeck. "Man muss kein Schwalmtaler sein, um mitzumachen", sagt Niehsen schmunzelnd. Man müsse nicht einmal ständig Zeit haben - schließlich sind die erwachsenen Messdiener teilweise noch berufstätig oder sind auch im Ruhestand ehrenamtlich engagiert. "Wir fragen immer rum, wer Zeit hat", sagt Niehsen. Dafür unterhält die Gruppe einen Terminkalender im Internet. "Dadurch erreichen wir eine Zuverlässigkeit", so Niehsen, "und sind im Regelfall zu zweit".

Niehsen kennt sich aus in der Kirche: Er war schon als Kind Messdiener in Waldniel, "ich habe noch die Liturgiereform mitgemacht". Dann wurde er Lektor. Schlippes war als Kind nicht Messdienerin, "das war damals gar nicht möglich", erzählt sie. Doch später, als Küsterin in Lüttelforst, wurde sie damit betraut, die Messdiener anzuleiten. Schritt für Schritt lernte sie mit den Kindern, welche Handlungen im Laufe des Gottesdienstes notwendig sind, "und irgendwann konnte ich es". Bis 2016 war sie als Küsterin in der Lüttelforster Kirche St. Jakobus tätig. Seit 2017 ist sie nun selbst Messdienerin.

Werden die erwachsenen Ministranten heute zum Einsatz gerufen, sprechen sie sich vorher kurz ab. "In jeder Kirche sind die Gegebenheiten anders", sagt Schlippes. Auch habe "jeder Priester seine Eigenheiten", fügt Niehsen hinzu, "aber wenn man sich dann kennt, ist es gut". Manchmal reicht den Messdienern am Altar ein Blick, ein Nicken, um dem anderen mitzuteilen, dass es Zeit ist, Wasser und Wein zu holen. Das hilft den kleinen Ministranten wie den großen. "Die Zeichen gab es ja früher auch", sagt Niehsen, "ohne läuft es nicht."

Wer als Kind nicht Messdiener war oder sich kaum mehr erinnert, lernt von den anderen, was wann zu tun ist. "Man macht das zwei, drei Mal, dann klappt es", ist Niehsen überzeugt. Denn: "Die Erwachsenen kennen die Abläufe im Gottesdienst, die Kinder müssen sie lernen. Wir haben ihnen Jahre voraus." Doch auch die Kinder haben den Erwachsenen etwas voraus: "Einige von uns können nicht mehr knien", sagt Niehsen. Lösung für Ältere: "Dann bleiben wir eben stehen."

Wie die Kinder kennen die Erwachsenen das Zupfen am Gewand, wenn man aufsteht. Sie wissen, wie das ist, wenn man in der Sakristei steht und versucht, passende Kleidung zu finden. "Talar und Rochette gibt es in verschiedenen Größen", sagt Niehsen. "Manche sind mir zu kurz, auf andere trete ich fast drauf." Ist die Kleidung angelegt, sind die Erwachsenen, egal ob noch im Beruf oder schon im Ruhestand, zu Messdienern geworden. Wenn der Priester an der Tür dann sagt: "Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn", antworten sie: "Der Himmel und Erde erschaffen hat." Und Doris Schlippes zieht an der Glocke. Der Gottesdienst kann beginnen.

(RP)
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