Viersen Niersverband setzt Millionen in den Sand

Viersen · Die Schmutzfracht im gewaltigen Stauwasserkanal von Dülken in die Nette wird künftig abgefangen: Der Niersverband baut für 15 Millionen Euro ein Rückhaltebecken und einen bis ins Detail ausgeklügelten Bodenfilter.

Wollte man es freundlich ausdrücken, so ließe sich feststellen: Es müffelt an der Dülkener Nette. Dem normalen Menschen stinkt's gewaltig in der Nase, wenn er von der Boisheimer Straße aus die Nette überquert. Der kleine Fluss liegt träge in der Sonne und kann nichts dafür. Man hat ihn in einen Graben gepfercht. Oberhalb klafft in der Böschung ein gewaltiges Loch. Viersens Stadtväter haben es als Endpunkt einer langen Abwasserleitung hinterlassen. Bei "Starkregen" ergießen sich hier unvorstellbare Wassermassen aus Dülken in den Nette-Graben.

"Hier kommt an, was der Mensch so hinter sich lässt", sagt Dr. Ulrich Otto. Er leitet die Abteilung Abwasser beim Niersverband. Es hat ein paar Tage nicht geregnet. Aber was zuvor aus Dülken durchs Rohrsystem hier heranrauschte, lässt sich erahnen. In den Zweigen der Bäume und Sträucher vor und hinter der Brücke über die Nette trocknen ganze Kollektionen von Toilettenpapier. Bis zu 15 000 Liter pro Sekunde jagen durch den Abschlag. Mischwasserkanäle bringen alles mit: Regenwasser und alles ab der Klospülung, also auch Feststoffe. Was sonst so schwimmfähig ist und die Botanik hier nicht abfängt, ist ungehindert der Käranlage entgegengeschwommen. Oder es hat sich im Graben gemütlich gemacht, nimmt der Nette ihre vorgeburtliche Unschuld (sie entspringt nicht mehr an der Moselstraße, sondern in der Kläranlage) und müffelt.

Das kann nicht der Endpunkt der Zivilisation sein. Deswegen hat der Niersverband einen Plan gemacht. Er baut für rund 15 Millionen Euro ein Rückhaltebecken und einen Retentionsbodenfilter. "In Dülken sind immer mehr Flächen versiegelt worden. Das Oberflächenwasser versickert immer weniger dort, es muss also abgeleitet werden. Bisher diente dazu der Mischwasserkanal, der durch Ausbau als Stauraum für Regenwasser diente. Auf diese Weise fließt es in die Nette und belastet den Fluss und die Seen im Raum Nettetal", erklärt Ulrich Otto.

Neben "Feststoffmengen" bereiten Chemikalien, die der Mensch in größerer Ansammlung in entsprechenden Mengen ausscheidet, dem Niersverband und dem Naturschutz große Sorgen. Der Cocktail aus Medikamenten wird vor allem angereichert durch Phosphor, der in sehr vielen Lebensmitteln steckt. Das Element liefert dem Menschen einen wichtigen Mineralstoff. Es ist vor allem in eiweißhaltigen Speisen (Milch, Käse, Fleisch und Fisch) enthalten. Was der Mensch nicht braucht, gibt er ab. Genau da schwimmt das Problem in der Kanalisation mit. In unser Wasser gehört Phosphor nämlich nicht.

Der Niersverband errichtet auf der Großbaustelle an der Dülkener Nette seit Herbst vergangenen Jahres ein Regenrückhaltebecken. Groß und teuer wird der Aufwand durch ein technisches Bauwerk, in dem das aus Dülken kommende Mischwasser von Schmutzfrachten befreit wird. Ein in den Ausmaßen gewaltiges Schneckenpumpwerk hebt das Wasser in das erste von zwei Regenrückhaltebecken. Ein vorgeschalteter Rechen hält Papier und andere Feststoffe auf.

Fällt so ein Regen besonders heftig, nimmt das zweite, nachgelagerte Regenrückhaltebecken das Wasser auf. Die beiden Becken haben mit 25 000 Kubikmetern ein enormes Fassungsvermögen. "Die weitaus meiste Zeit des Jahres bleiben sie trocken. Bei starken Regenfällen sind sie dann Gold wert", sagt Ulrich Otto.

Das Wasser aus den Rückhaltebecken fließt anschließend in den Retentionsbodenfilter. Das werden drei Becken sein, jeweils etwa 25 mal 50 Meter groß. Die Gesamtfläche der drei Kammern beträgt 10 500 Quadratmeter. Eine Spezialfolie verhindert, dass Wasser in den Boden eindringt. Die Sohle auf der Folie bildet eine einen Meter dicke Schicht aus Sand, auf dem demnächst eine dünne Grassode sprießen wird. Der Boden filtert gelöste Stoffe wie Phosphor und Stickstoff, indem er die Stoffe entweder abbaut oder bindet. Der Sand ist so raffiniert gemischt, dass er etwa 50 Jahre (!) lang als Filter funktioniert, ehe er ausgetauscht werden muss. Das hat seinen Preis: 1,3 Millionen Euro kostet allein der Filtersand.

Das so gereinigte Wasser fließt ab und wird über ein Pumpwerk in die Nette geleitet. Der Eingriff in die Landschaft mit ihren Wiesen ist gewaltig, aber unausweichlich. Der heutige Zustand ist untragbar, und die Belastung der Nette und ihrer Seen, die ungewollt als Filter des Abwassers aus Dülken herhalten müssen, wird im Frühjahr 2015 beendet.

"Wir haben die Planung bereits vor einigen Jahren aufgenommen, um diesen Zustand zu beenden. Die Bestimmungen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie kamen später hinzu, werden damit aber auch berücksichtigt", erklärt Otto.

(RP)
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