Schwalmtal Seltene Birne soll weiterleben

Schwalmtal · Die Obstwiesenfreude kooperieren seit drei Jahren mit der Janusz-Korczak-Realschule in Waldniel. Dort lernten Schüler gestern, wie Obstbäume veredelt werden

 Gerd Bongartz (vorn) zeigt den Schülern, wie man Bäume veredelt. Rechts im Bild Birnbaum-Besitzer Erwin Clever.

Gerd Bongartz (vorn) zeigt den Schülern, wie man Bäume veredelt. Rechts im Bild Birnbaum-Besitzer Erwin Clever.

Foto: Ahlen

Für Franz Bolten aus Waldniel ist der gute Geschmack der Huertjans-Birne eine Erinnerung aus Kindheitstagen. Die Früchte werden um den Tag des Heiligen Lorenz, den 10. August herum, reif. Anfangs hart, werden sie später "butterweich". Bolten gehört den Obstwiesenfreunden an, die sich dem Erhalt alter Obstbäume verschrieben haben. Für Bolten war klar: Wenn die Obstwiesenfreunde alte Sorten erhalten wollen, sollte die Huertjans-Birne dabei sein.

Die ersten Recherchen verliefen ernüchternd: Ausgestorben sei die Birnensorte, hieß es. Doch dann bekam Bolten den entscheidenden Tipp: Über die Biologische Station Dormagen erfuhr er von Erwin Clever aus Wegberg. Auf seinem Hof steht ein solcher Baum - möglicherweise der einzige in Deutschland. Der Baum stamme mindestens aus dem Jahr 1774, erzählt der 87-Jährige - denn da sei der Hof nach einem Brand neu aufgebaut worden.

In Schwalmtal pflanzen die Obstwiesenfreunde in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bäume, deren Obst den Bürgern zur Verfügung steht. Hinter dem Baugebiet "Burghof I" in Waldniel beispielsweise ist ein breiter Streifen mit Obstbäumen angelegt worden. Wie man die Bäume aufzieht und pflegt, lernen Jugendliche in einer Arbeitsgemeinschaft an der Janusz-Korczak-Realschule in Waldniel.

Seit drei Jahren kooperieren die Obstwiesenfreunde mit der Schule. Jetzt ist zu Aufzucht und Pflege eine neue Aufgabe hinzugekommen: die Veredelung. Zweige einer Sorte, die man erhalten möchte, werden mit einer Unterlage verbunden, auf der der neue Baum wachsen kann. Die Zweige nennt man Edelreiser, die Unterlagen sind kleine, gut bewurzelte Setzlinge.

Für die Veredelung stellte Birnbaum-Besitzer Erwin Clever gern einige Zweige zur Verfügung. Sie lagen gestern neben vielen anderen Edelreisern, etwa vom Apfel "Roter Jonathan", vor den Schülern, um auf die Unterlagen veredelt zu werden. In diesem Fall ist die Weißdornart "Kirchensaller" die Unterlage. Sie wird häufig für die Zucht von Birnbäumen verwendet.

Für die Veredelung gibt es verschiedene Techniken, die Obstwiesenfreund Gerd Bongartz den Schülern zeigt. Er kann auf über 60 Jahre Erfahrung beim Veredeln zurückblicken. Die einfachste Möglichkeit - und zugleich die, die die Schüler ausprobieren - ist die "Kopulation", wie Bongartz erklärt: "Dazu werden Edelreis und Unterlage jeweils mit einem schrägen Schnitt versehen, die Schnittstellen werden dann aufeinander gelegt." Die Verbindung erfolge nur über die Kambium-Schicht - das ist der schmale Wachstumsring zwischen Holz und Borke.

Beim Veredeln muss alles sauber sein, die Schnittstellen dürfen nicht mit den Fingern berührt werden. Zum Schneiden nimmt Bongartz lieber ein scharfes Küchenmesser, kein Spezialwerkzeug. "Früher hat man die veredelte Stelle mit Bast umwickelt und Baumwachs draufgestrichen", erklärt der Experte. Seit 40 Jahren nun nehme man einfache Folienstreifen. Geschickt umwickelt er die aneinandergesetzten Stücke, schiebt noch einmal nach, klebt zu. Die Bäume werden auf einem Grundstück gesetzt, das die Gemeinde zur Verfügung gestellt hat.

Nach einem Jahr löse sich der Kleber, berichtet Bongartz. Dann werden die Obstwiesenfreunde die Plastikreste einsammeln und sehen, wie viele neue Bäume es geschafft haben. Denn eine Veredelung klappt auch bei geübten Menschen am Messer nicht immer.

Um weitere alte Obstsorten zu erhalten, hoffen die Obstwiesenfreunde auf Unterstützung aus der Bevölkerung: "Schön wäre es, wenn Menschen, die noch alte Obstbaumsorten besitzen, sich bei uns melden würden", sagt Obstwiesenfreund Paul Derix, "damit wir dort Edelreiser schneiden können".

(hah)
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