Immer mehr Fremdwörter Angst vor Verfall der deutschen Sprache

Düsseldorf (RP). Zwei Drittel der Deutschen befürchten, dass ihre Muttersprache verkommt. Grund sind nachlässige Formulierungen und immer mehr Fremdwörter. Experten sagen: Alles halb so wild.

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Foto: dpa/Marius Becker

Beim Schlussverkauf hängen Plakate mit dem Wort "Sale!" im Schaufenster, das Büro heißt längst "office" und die Werbung posaunt verquere Slogans wie "Danke, ich bekomme schon geholfen". Immer mehr Fremdwörter zerzausen das Deutsche, und es werden Ausdrücke verwendet, die sich in keinem Wörterbuch mehr finden. Kaum verwunderlich, dass sich immer mehr Deutsche über einen Verfall ihrer Muttersprache ärgern. Knapp zwei Drittel, so ergab eine im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) durchgeführte Umfrage, beklagen einen Niedergang des Deutschen. 42 Prozent finden, dass sich Menschen heute schlechter ausdrücken können als noch vor 20 oder 30 Jahren.

Ob nun wirklich schlechter oder nicht, anders reden die Deutschen ganz gewiss als noch vor einer Generation, bestätigt der Berliner Publizist Dieter Zimmer. Da haben sich Ausdrucksformen herausgebildet, die Zimmer als "privates spontanes Alltagsdeutsch" bezeichnet. Der Sprachwandel vollzieht sich völlig ungeplant, auf Schulhöfen, in SMS-Botschaften und beim Quatschen im Internet. "Man schreibt so, wie man denkt und spricht", erklärt Zimmer. Folge: Das klassische Hochdeutsch verliert immer mehr an Boden.

Gerade Jugendliche finden Englisch "cooler" und bedienen sich herzhaft aus dem angelsächsischen Wortschatz. Über nach Deutschland gekommene Zuwanderer sickern zunehmend auch Einflüsse aus südlichen und östlichen Ländern ins Deutsche. Auch junge Deutsche sagen da schon mal türkisch "lan" für "Mann". Das heißt dann: "Pass auf, lan!"

Viele Menschen empfinden diesen Wandel als rasant. "Aber das ist er eigentlich nicht", sagt der Düsseldorfer Germanistik-Professor Rudi Keller. Es gab Zeiten, da habe sich das Deutsche schneller und einschneidender gewandelt als heute. Mit Martin Luther hätte sich ein Deutscher von heute zur Not wohl noch verständigen können, sagt Keller. "Aber Luther selbst hätte unmöglich mit Walther von der Vogelweide kommunizieren können — obwohl der zeitliche Abstand in etwa derselbe ist". Sprache verändert sich also nach ihren eigenen Gesetzen, und steuerbar ist dieser Prozess nicht. "Sprache ist keine Voraussetzung der Kommunikation, sondern ihre Folge", sagt Keller. Sich gegen bestimmte Entwicklungen zu stemmen, sei wenig sinnvoll.

Zweifel haben Sprachforscher wie Keller auch daran, dass sich der Siegeszug des Englischen in Europa und der Welt noch aufhalten lässt. Genau das wünschen sich aber die Deutschen. Mehr als die Hälfte von ihnen verlangt eine stärkere Verwendung des Deutschen in der EU. Angesichts von mehr als 90 Millionen deutschen Muttersprachlern in Europa (Englisch: 62 Millionen; Französisch: 58 Millionen), erscheint diese Forderung ja auch nur recht und billig.

Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. "Faktisch spielt die deutsche Sprache in der EU nur eine untergeordnete Rolle", beklagte etwa die CSU-Landesgruppe im Bundestag. Lediglich drei Prozent der Schriftstücke, die die EU-Kommission an die Mitgliedsstaaten verschicke, würden auf Deutsch verfasst. Der Bundestag forderte im Juni bei der EU-Kommission ein Ende der Diskriminierung der deutschen Sprache.

Doch bisher sind sämtliche Vorstöße zur Aufwertung des Deutschen versandet. Da ist es kaum ein Trost, dass auch das Französische, neben Englisch und Deutsch dritte offizielle EU-Amtssprache, unaufhaltsam auf dem Rückzug ist — trotz aller Proteste aus Paris. "Europa braucht irgendwann eine Verkehrssprache", sagt Germanist Keller. "Und die kann nur Englisch sein."

(RP)
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