Warenhauskonzern: Galeria schließt 16 seiner 92 Warenhäuser
EILMELDUNG
Warenhauskonzern: Galeria schließt 16 seiner 92 Warenhäuser

Unternehmen Familie "Kinderreiche Familien sind selten"

Berlin · Im Interview mit unserer Redaktion spricht der Wiesbadener Bevölkerungsforscher Martin Bujard über Geburtenrate, soziale Strukturen und Migration.

Die Geburtenzahlen im Wandel der Zeit
Infos

Die Geburtenzahlen im Wandel der Zeit

Infos
Foto: dpa, Arno Burgi

Herr Bujard, die Geburtenrate in Deutschland ist so hoch wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Ist das ein Grund zur Freude?

Bujard Auf jeden Fall. Im internationalen Vergleich lag Deutschland bei den Geburtenzahlen lange weit zurück — jetzt geht es endlich wieder etwas bergauf. Die Geburtenrate ist allerdings immernoch deutlich unter dem Bestandhaltungsniveau von 2,1.

Wieso bekommen die Deutschen wieder mehr Kinder?

Bujard Das hat zwei Gründe. Zum einen wirkt sich der Ausbau der Kinderbetreuung in den letzten 15 Jahren positiv aus. Mütter haben es heute leichter, Beruf und Familie zu vereinen. Eine Entscheidung für ein Kind ist für Frauen heute nicht mehr eine Entscheidung gegen den Beruf. Zum zweiten ist durch die Zuwanderung der Anteil der Frauen mit Migrationshintergrund angestiegen. Deren Geburtenraten sind im Durchschnitt höher als die von Müttern ohne Migrationshintergrund. Interessanterweise gleicht sich diese Quote aber in der zweiten Generation der von deutschen Müttern an.

Warum gab es überhaupt so lange zu wenig Nachwuchs?

Bujard Viele glauben, das liege an den vielen kinderlosen Frauen und Männern. Das ist aber nicht das Hauptproblem. Die Kinderlosigkeit hat sich zwar von elf Prozent bei den heute 80-jährigen Frauen auf 21-22 Prozent bei den heutigen Endvierzigern verdoppelt. Dies trägt aber nur rund ein Viertel zum Geburtenrückgang bei. Viel entscheidender ist, dass die Zahl der kinderreichen Familien zurückgegangen ist, also immer weniger Paare drei oder mehr Kinder bekommen. Diese Veränderung ist für fast 70 Prozent des Geburtenrückgangs verantwortlich.

Wieso ist bei zwei Kindern häufig Schluss?

Bujard Das hat kulturelle Gründe. In den 50er und 60er Jahren entfachte eine Debatte um Überbevölkerung. Dazu kam eine Stigmatisierung der kinderreichen Familien: Gut situierte Paare hatten in der Regel nur zwei Kinder und galten damals als Vorbilder. Zu guter Letzt kam die Anti-Baby-Pille auf den Markt. Weil man die Kinderzahl plötzlich steuern konnte, wurde erwartet, dass man das bitte auch so tut.

Das ist jetzt über 60 Jahre her. Wieso ist das Zwei-Kinder-Modell auch heute noch so beliebt?

Bujard Damals wurde eine Norm gebildet, die bis heute besteht. Schauen Sie sich nur mal unseren Alltag an: Wohnraum für Großfamilien ist äußerst rar. Das Kindergeld ist beim ersten und zweiten Kind besonders gestiegen, in Kinderbüchern haben Familien üblicherweise zwei Kinder. Und im Mutterpass ist nur Platz für zwei Schwangerschaften — alles darüber hinaus ist also sozusagen nicht normal. Heute sind wir so sehr daran gewöhnt, dass der Zwei-Kinder-Wunsch gar nicht mehr reflektiert wird.

Hat die Großfamilie also ein schlechtes Image?

Bujard In unserer Studie zu Familienleitbildern haben wir gefragt, wie Menschen unter 40 Jahren persönlich über Kinderreiche denken, und wie sie deren Bild in der Gesellschaft einschätzen. Das Interessante: Nur acht Prozent bezeichneten Großfamilien als asozial, aber 70 Prozent glaubten, die Gesellschaft sehe das so. Es wird also ein schlechtes Image vermutet, dass es so gar nicht gibt — zumindest nicht in der jungen Generation. Die Vorurteile stammen offensichtlich aus früheren Zeiten: Heute weiß man nur noch, dass es sie gibt, aber nicht mehr, warum.

Und wer entscheidet, wie viele Kinder es gibt?

Bujard Paare einigen sich in der Regel auf den kleinsten Nenner: Wer weniger Kinder will, setzt sich durch — egal, ob die Frau oder der Mann.

Familienplanung ist also keine Geschlechterfrage?

Bujard In gewisser Weise doch: Frauen haben generell einen Kinderwunsch, auch, wenn sie keinen Partner haben. Männer wünschen sich oft erst dann ein Kind, wenn auch eine Partnerin da ist.

Wer hat sonst noch Einfluss auf die Kinderzahl?

Bujard Vor allem das persönliche Umfeld. Im Freundeskreis und bei der Arbeit gibt es einen nachgewiesenen Ansteckungseffekt: Bekommen Kollegen oder Freunde Kinder, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch andere in deren Umfeld eine Familie gründen.

Muss die Politik jetzt helfen, die Geburtenrate zu erhöhen?

Bujard Letztlich ist die Entscheidung für oder gegen ein Kind Privatsache. Der Kinderwunsch ist kulturell geprägt und von außen schwer steuerbar. Bessere Betreuungsmöglichkeiten können allerdings helfen, dass Paare ihre Kinderwünsche auch realisieren.

Schauen Sie einmal in die Glaskugel: Wie wird sich die Geburtenrate in Zukunft entwickeln?

Bujard Das kann kein Experte vorhersehen. Was wir aber wissen: Frauen, die Ende der 70er geboren wurden, werden im Schnitt etwa 1,6 Kinder bekommen. Die zehn Jahre älteren Frauen kamen dagegen nur auf knapp 1,5.

Tim Specks führte das Gespräch

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort