Interview mit Dieter Nuhr "Religionen dürfen verspottet werden"

Düsseldorf · Knapp 25 Muslime haben am Samstag vor der Osnabrücker Stadthalle gegen den Auftritt des Kabarettisten Dieter Nuhr demonstriert. "Stoppt den Hassprediger", stand auf einem Plakat. Der Osnabrücker Muslim Erhan Toka hatte zuvor Anzeige gegen Nuhr erstattet wegen angeblicher Islamhetze. Unsere Redaktion sprach mit Dieter Nuhr.

 Erhan Toka (links) wirft Dieter Nuhr Islamhetze vor.

Erhan Toka (links) wirft Dieter Nuhr Islamhetze vor.

Foto: dpa, bsc

Haben Sie als Erstes gelacht, sich geärgert oder sich Sorgen gemacht, als Sie hörten, dass ein Moslem aus Osnabrück Sie angezeigt hat und Sie als "islamophober Hassprediger" bezeichnet hat?

Nuhr Ich habe gelacht, weil das einfach komisch ist. Das ist die übliche Methode der Verdrehung, mit der Radikale arbeiten. Sie wenden den Vorwurf, der sie zu Recht trifft, gegen ihre Kritiker. Den Trick kennen auch die Nazis, die dann scheinbar für Meinungsfreiheit demonstrieren. Geärgert habe ich mich erst später. Darüber, dass ich durch das immense Medienecho zum Skandalisierungsobjekt geworden bin. Da habe ich keine Lust drauf. Ich möchte in Ruhe auf Tournee gehen, sagen, was ich denke, Menschen treffen, diskutieren.

Religiöser Fanatismus ist seit vielen Jahren ein Leitmotiv in Ihren Programmen. Warum?

Nuhr Weil ich Fundamentalismus jeder Art, auch den religiösen, gefährlich finde. Ich möchte so leben, wie ich will, und mir das nicht von irgendwem vorschreiben lassen. Die Freiheit der Bürgergesellschaft halte ich für eine immense Errungenschaft. Die 68er haben seinerzeit einen wichtigen Teil dazu beigetragen. Heute, wo es zum ersten Mal seit langem ernsthafte Gegner gibt, die diese Bürgergesellschaft angreifen, tun sie sich leider schwer damit, diese klar zu benennen. Die Bürgergesellschaft hat leider zu wenige wahrnehmbare Fürsprecher. Und bei Themen, bei denen es so heikel wird wie beim Islam, wird das Feld den Rechten überlassen. Das ist ein fataler Fehler. Weil es dazu führt, dass diejenigen, die sich da zu Wort melden, das ganze Thema gleich mit diskreditieren. Wenn jemand grölt: "Deutschland muss rein bleiben, Islam raus", kann und darf man das nicht ernst nehmen.

Haben Sie Sorge, dass nun wieder alle in einen Topf geworfen werden, die friedlichen und vernünftigen Moslems und die Fundamentalisten?

Nuhr Das ist das Tragische an dieser ganzen Debatte. 99,9 Prozent der Muslime in Deutschland verstehen den Koran nicht als konkrete Handlungsanweisung, sondern sehen ihn in seinem historischen Kontext. Man muss allerdings das Radikale und Gefährliche benennen dürfen, ohne dass daraus automatisch eine Stigmatisierung der großen Masse wird. Selbstverständlich sind auch beim Islam die Dinge nicht schwarz-weiß. Weder sind alle Muslime nett und anständig, wie es mancher Multi-Kulti-Romantiker uns gerne weiß machen will. Noch sind alle gefährlich, nur, weil es ein paar Verrückte unter ihnen gibt. Hilfreich wäre sicher, wenn sich die große Masse der Vernünftigen selbst immer wieder klar von den Verrückten distanzieren würde.

Ist das Recht, verspottet zu werden, ein Grundrecht, das auch für Religionsgemeinschaften gilt?

Nuhr Selbstverständlich. Dieses Recht hat jeder Sportverein und jede Religion. Wenn mir jemand sagt, eine Pointe beleidige seine religiösen Gefühle, entgegne ich: "Und Ihr Fundamentalismus beleidigt mein Gefühl für Logik." Das heißt aber nicht, dass Satire alles darf. Beschimpfungen, Beleidigungen, Hetze sind nie wertvoll.

Die Diskussion hat eine unglaubliche Wucht entfaltet. Was schreiben Ihnen die Menschen?

Nuhr Ich habe Vergleichbares nie erlebt. Meine Statements auf Facebook haben mehr als drei Millionen Menschen gesehen. Die Kommentare, die ich auf Facebook bekomme, sind nicht so polarisierend, wie die Diskussion in den Medien suggeriert. Die überwältigende Mehrheit ist dankbar für das, was ich anspreche, übrigens auch etliche Muslime. Ich habe den Eindruck, dass wenn die Häscher der politischen Korrektheit zu sehr die Oberhand über eine Debatte gewinnen, irgendwann der Unterdruck so groß wird, dass er sich Bahn bricht.

Sie sind in ihren Programmen nicht mit der Axt unterwegs, sondern eher mit kleinem Besteck, mehr sezierend als holzend. Wundert es Sie, dass gerade Sie so eine Debatte lostreten?

Nuhr Vielleicht ist es in einem Skandalisierungsumfeld gerade das, was besonders auffällt: Leise und unaufgeregt die Dinge zu sagen, die halt gesagt werden müssen. Es nutzt nichts, wenn man vor lauter verständlichen Ansprüchen, nämlich ausländerfreundlich, frauenfreundlich, religionsfreundlich und für Meinungsfreiheit zu sein, verstummen muss, wenn sich diese Werte mal nicht alle gleichzeitig bedienen lassen. Zum Beispiel muss man einfach mal feststellen dürfen, dass das Grundrecht auf Datenschutz sehr wichtig ist, das Grundrecht, nicht in die Luft gesprengt zu werden, am Ende aber noch wichtiger. Und dass man in unserem Land zum ersten Mal seit 1945 wieder aufpassen muss, was man sagt, wenn man keine physische Gewalt erleiden will.

(RP)
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