Interview mit GSG-9-Kommandeur Olaf Lindner "Islamistischer Terror? Wir sind vorbereitet"

Düsseldorf · Der GSG-9-Kommandeur Olaf Lindner sprach mit unserer Redaktion über Aufträge des geheimen Verbandes, die internationale Polizei-Kooperation und weiblichen Nachwuchs.

GSG-9-Kommandeur Olaf Lindner reizt es, in Grenzbereichen zu arbeiten.

GSG-9-Kommandeur Olaf Lindner reizt es, in Grenzbereichen zu arbeiten.

Foto: GSG 9

Ihr Verband, 1977 durch die Befreiung des von Terroristen entführten Lufthansa-Jets "Landshut" weltberühmt geworden, operiert normalerweise im Verborgenen. Dürfen Sie ein paar Details über Ihre Arbeit preisgeben?

Lindner Wir haben in den 40 Jahren unseres Bestehens mehr als 1700 Einsätze durchgeführt. Unsere Aufgabe ist es, in besonders kritischen Lagen Leben zu retten und zu schützen. Damit waren wir immer erfolgreich. Es liegt nicht in der Natur von Spezialkräften, darüber in der Öffentlichkeit zu reden. Terroristen oder Schwerstkriminelle sollten über unser Vorgehen nicht vorgewarnt sein.

Könnten Sie trotzdem Beispiele nennen?

Lindner Viele Festnahmen wurden im terroristischen Umfeld durchgeführt und dadurch Anschläge verhindert. Auch im Fall der rechtsterroristischen Zelle "Nationalsozialistischer Untergrund" konnten wir Verdächtige festnehmen. Gemeinsam mit den Sondereinsatzkommandos der Länder sind wir neuerdings bei der Bekämpfung des immer stärker aufwachsenden Phänomens der Rocker-Kriminalität erfolgreich.

Das präzise Schießen in jeder denkbaren Situation ist eines ihrer Hauptausbildungsziele. Wie oft haben denn ihre Beamten schon scharf schießen müssen?

Lindner Das mag überraschen: Wir haben seit unserer Gründung vor 40 Jahren nur insgesamt sieben Mal von Schusswaffen Gebrauch machen müssen. Ein präzise geplanter und durchgeführter Zugriff ist in der Regel ausreichend, um dem Festgenommenen eine Gegenwehr aussichtslos erscheinen zu lassen. Das war aber leider nicht in jedem Fall so. Ich erinnere daran, dass drei unserer Kameraden bei Einsätzen ihr Leben verloren haben, davon zwei im Irak, als sie deutsche Botschaftsangehörige schützten.

Ab und zu sickert aber etwas mehr über die GSG 9 in die Öffentlichkeit. Zum Beispiel sollen Sie die Terroristen der sogenannten Sauerland-Gruppe observiert und überwältigt haben. Die inzwischen verurteilten Islamisten wollten Bombenanschläge auf US-Einrichtungen in Deutschland verüben.

Lindner Der Islamismus nimmt die innere Sicherheit Deutschlands zunehmend in Anspruch. Mit Angriffen sowohl im Inland als auch im Ausland ist jederzeit zu rechnen. Al Qaida und deren Splitterungen, aber auch der Salafismus sind eine stetige Gefahr. Dadurch entsteht leider ein großes Einsatzspektrum für uns. Aber wir sind vorbereitet.

Wer gibt Ihnen denn konkret den Einsatzbefehl? Eine übergeordnete Dienststelle der Bundespolizei? Das Innenministerium?

Lindner Einsatzanforderungen laufen auf dem Dienstweg an das Bundesinnenministerium. Dies läuft wesentlich unbürokratischer und zügiger, als man vermuten könnte. In vielen Fällen muss es ja auch schnell gehen.

Mit dem Bundeswehr-Kommando Spezialkräfte in Calw gibt es einen Verband, der vom Auftrag und von der Gliederung her dem Ihren sehr ähnelt. Gibt es Konkurrenz oder gar ein Gerangel darum, wer in welchem Fall zuständig ist? Wie grenzen Sie sich ab?

Lindner Eine Zusammenarbeit, das gilt auch für die Kampfschwimmer der Bundeswehr, ist absolut notwendig und funktioniert. Alles andere sind Gerüchte. Ich erinnere daran, dass wir beim Aufbau des erst 1995 gegründeten Kommandos Spezialkräfte die Bundeswehr tatkräftig unterstützt haben. Selbstverständlich tauschen wir uns mit militärischen Spezialeinheiten, aber auch mit den Nachrichtendiensten aus und arbeiten mit ihnen zusammen, soweit das im rechtlichen Rahmen möglich ist.

Gilt das auch international?

Lindner Ja. Wir haben zum Beispiel 2010 mit GIGN, der Spezialeinheit der französischen Gendarmerie, zwei simultane Zugriffe auf gekaperte Flugzeuge auf dem Pariser Flughafen Orly trainiert, 2011 mit den Spaniern die Befreiung von Schiffen geübt und 2012 mit polnischen Kollegen den Schutz von Zuschauern während der Fußball-WM durchgespielt. Für 2013 haben wir im Rahmen von Atlas eine europaweite Großübung geplant. Es geht dabei um die Reaktion auf gleichzeitige große Terrorangriffe auf Gebäude, Flugzeuge, Züge und Busse mit vielen Geiseln.

Was bedeutet Atlas?

Lindner Atlas war die europäische Reaktion auf die US-Terrorkatastrophe am 11. September 2001: Die Atlas-Kooperation ist ein Forum von insgesamt 35 Spezialeinheiten aus allen EU-Mitgliedsstaaten. Aus Deutschland gehören die GSG 9 und, stellvertretend für die Sondereinsatzkommandos der Länder-Polizeien, das SEK Baden-Württemberg dazu. Seit Oktober 2012 habe ich die ATLAS — Präsidentschaft übernommen. Ich werte das als Anerkennung unserer erfolgreichen Arbeit.

Dabei geht es Erfahrungsaustausch. Auch um konkretes Zusammenwirken?

Lindner Das ist zwingend notwendig. Es gibt Szenarien, die mit rein nationalen Mitteln nicht bewältigt werden können. Denn wir haben es heute überwiegend mit einem nationenübergreifenden Kriminalitätsphänomen zu tun. Ob Terrorismus oder Organisierte Kriminalität - alles wird internationaler und übergreifender. Vor diesem Hintergrund ist es von ganz besonderer Bedeutung, dass wir mit unseren Pendants auch auf internationaler Ebene die Zusammenarbeit verstärken.

Wie muss der ideale GSG-9-Mann denn aussehen? Wie der muskelgestählte Superheld in amerikanischen Kriegs- oder Polizeifilmen?

Lindner Wer den Film "Rambo" kennt, der weiß, dass dieser Ex-Kommandosoldat von persönlichen Rachegefühlen geleitet war und sich in Extremsituationen nicht kontrollieren konnte. Rambo können wir also nicht brauchen. Uns kommt es in erster Linie auf die charakterliche Eignung des Bewerbers an. In zweiter Linie muss er über eine besondere geistige Flexibilität verfügen. In dritter Line ist eine überdurchschnittliche physische Leistungsfähigkeit wichtig.

Ihre Beamten müssen tauchen, fallschirmspringen, sprengen und schießen können, dazu moderne Technik beherrschen, Einsatzverfahren hart trainieren, dabei körperlich topfit sein und dazu ständig alarmbereit. Die Ausbildung dafür dauert Monate und ist entbehrungsreich. Interessieren sich heute trotzdem noch genug junge Menschen für diese gefährliche Aufgabe, die noch dazu im Geheimen geleistet werden muss?

Lindner Ausreichend Bewerber gibt es schon, aber ausreichend geeignete Bewerber bedauerlicherweise nicht. Das ist aber auch schwer. Denn wir haben einen eisernen Grundsatz: Qualität muss vor Quantität gehen. So gelingt nur sieben bis acht Prozent der Bewerber der Sprung in die Einsatzeinheiten. Die Nachwuchswerbung wird daher angesichts geburtenschwacher Jahrgänge immer wichtiger.

Nehmen Sie auch Ausländer in die GSG 9 auf?

Lindner Einige unserer Beamten haben einen Migrationshintergrund. Sie bringen Fähigkeiten mit, die wir früher nicht hatten. In bestimmten Einsätzen brauchen wir neben kultureller Kompetenz auch besondere Fremdsprachenkenntnisse. Mit der Integration von Beamten mit Migrationshintergrund haben wir deshalb einen großen Schritt nach vorn gemacht.

Was reizt Bewerber, sich bei der GSG 9 zu melden? Oder präziser: Was hat Sie damals gereizt? Am Gehalt — ein 23-jähriger unverheirateter Polizeimeister verdient monatlich etwa 1700 Euro netto - kann es wohl nicht liegen.

Lindner Ich war Zeitsoldat bei der Bundeswehr und habe damals eine neue Herausforderung gesucht. Die habe ich hier gefunden. Es reizt mich, in einem Grenzbereich zu arbeiten, der einen geistig und körperlich voll fordert. Das motiviert auch meine Männer.

Sie sagen immer "Männer". Denken Sie darüber nach, Ihren Verband auch für Frauen zu öffnen?

Lindner Für Frauen ist der Weg in die GSG 9 schwierig, aber nicht ausgeschlossen. Wir haben bereits Frauen bei uns beschäftigt, allerdings nicht in den Einsatzeinheiten. Weibliche Bewerber müssen dieselben Anforderungen erfüllen wie die Männer. Wir sind darauf angewiesen, dass ein kleines Team in Extremsituationen funktioniert. Da können wir bei den physischen Leistungen keine Abstriche machen.

Haben Sie noch Kontakt zum GSG-9-Gründer und ersten Kommandeur, Ulrich Wegener, der auch die "Landshut"-Befreiungsoperation geführt hat?

Lindner Ja, er schaut regelmäßig bei uns vorbei und ist stets hochwillkommen. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir Herrn General Wegener als einen der weltweit führenden Experten zur Terrorismusbekämpfung an unserer Seite haben. Ich wäre nicht gut beraten, wenn ich seinen Rat nicht einholen würde.

Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft?

Lindner Falls Sie auf Rahmenbedingungen anspielen, so bin ich ganz zufrieden, auch wenn die Anpassung an den aktuellen Stand der Technik, zum Beispiel bei Computern oder akustischen Aufklärungssystemen, eine stete Herausforderung darstellt. Spätestens seit der Entführung deutscher Staatsbürger im Jahr 2000 auf der philippinischen Insel Jolo müssen wir uns außerdem auf klimatisch anspruchsvolle Einsatzräume einstellen — inklusive der unabhängigen satellitengestützten Kommunikation. Aber die Unterstützung aus dem politischen Bereich ist groß, wenn es notwendig wird, unsere Ausrüstung zu modernisieren. Wir werden durch vorgesetzte Behörden hervorragend unterstützt - das ist keine Floskel.

Und was wünschen Sie sich persönlich?

Lindner Mein ganz persönlicher großer Wunsch ist an jedem Tag, dass meine Leute heil aus dem Einsatz zurückkommen.

Helmut Michelis führte das Interview.

(pst)
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