Düsseldorf Die Rolling Stones begeistern Düsseldorf

Düsseldorf · Es könnte ihr letzter Auftritt auf deutschem Boden gewesen sein: Mick Jagger und Co. begeistern 45 000 Fans in Düsseldorf. Und sie erteilen den Toten Hosen den Ritterschlag.

Gegen Ende dieses phänomenalen Abends geht das Licht auf der Bühne aus. Sekundenlang passiert nichts, es ist still, dann zucken Flammen über die gewaltigen Leinwände, rotes und orangefarbenes Licht ergießt sich in die Halle. 45 000 Menschen ahnen, was nun kommt, sie jubeln. Man hört das markante Trommel-Intro, dann sieht man Mick Jagger auf der Bühne; er steht einfach da, man weiß nicht, von wo er gekommen ist. Er trägt einen pechschwarzen Feder-Umhang, der bis zum Boden reicht. Die Schultern leuchten blutrot, und als ein Lichtspot auf Jaggers Gesicht gerichtet wird, schaut er, wie man schaut, wenn man sich darauf freut, etwas Verbotenes zu tun. Er beginnt das Lied: "Please allow me to introduce myself / I'm a man of wealth and taste". Die nächsten Verse kann man im Geschrei kaum verstehen. Das ist "Sympathy For The Devil", und gleich ruft jeder in der Halle die ewig junge Begrüßungsformel der Widerständigkeit, das globale Erkennungszeichen jugendlicher Verneinung: "U-uh!"

Die Rolling Stones treten in der Esprit-Arena auf, und wer da ist, wohnt einem historischen Ereignis bei, denn möglicherweise ist dies das letzte Konzert der Stones auf deutschem Boden. Die Musiker sind in ihren 70ern, und obwohl man das schon tausend Mal gedacht hat, muss man nun damit rechnen, dass sie nicht noch einmal auf Welttournee gehen. Sie spielen "Tumbling Dice", Jagger steckt sich das Mikro vorne in die Hose und lässt die Hüften kreisen, diese mephistophelischen Hüften, die locken sollen und provozieren, und man mag sich nicht vorstellen, dass er das irgendwann nicht mehr tut.

Es gibt in dieser Show Momente, da begreift man, worum es bei den Stones geht, und wieso man sein Herz an so etwas Dummes wie Popsongs hängen kann. "Midnight Rambler" zum Beispiel: Sie holen Mick Taylor auf die Bühne, den alten Fahrensmann, der bei den größten Stones-Alben in den 70ern Gitarre spielte. Am meisten scheint sich Keith Richards zu freuen, er lacht, schüttelt den Kopf, schwenkt die Gitarre im Gleichklang mit dem Kumpel. Sie dehnen den Song über zehn Minuten, sie stehen und schauen dem Irrwisch da vorne zu, der sich mit geschlossenen Augen um die eigene Achse dreht, nicht mehr zu wissen scheint, wo er sich befindet. Jagger legt die Ellenbogen an die Seiten seines Körpers, er ruckt vor, schüttelt den Kopf mit dem halblangen Haar. Er hat sich in das Lied versenkt, in die Zeit. Es ist 1969 bei ihm oder 1979, man weiß es nicht so genau. Er taucht ab und nimmt alle mit. Das ist Magie: dass es sich anfühlt, als sei man unter Wasser, aber man hat Luft zum Atmen und findet es schön da unten.

Ein anderer Höhepunkt ist "Gimme Shelter". Man muss die Energie in der Halle spüren, um zu begreifen, was diese vier Minuten mit einem Menschen machen können. Das Lied brodelt, es leuchtet dunkel, ist reine Atmosphäre. Mick Jagger singt es am Ende des Stegs, der weit ins Publikum reicht. Die Schöße seines offenen Seidenhemds wehen, als er an seinen Platz läuft. Die großartige Backgroundsängerin Lisa Fischer unterstützt ihn, und es ist ein Wunder, dass Jagger nicht einfach abhebt und wegfliegt. Das mag pathetisch klingen, aber nirgendwo liegt der Gedanke an den Tod ferner als in einem Konzert der Rolling Stones. Sie dealen mit der Ewigkeit: In der Innentasche ihrer Mäntel haben sie das in Phiolen abgefüllte Elixier aus dem Jungbrunnen, und man saugt jedes Lied aus in der Hoffnung, etwas davon zu schmecken.

Manchmal nimmt sich Jagger die Zeit, neben Keith Richards zu verweilen. Richards steht zumeist an derselben Stelle, nur manchmal lässt er den Bauch der Gitarre über den Boden schubbern und senst mit einem markanten Riff durch die Vergangenheit. Jagger hält es indes nie lange aus an einem Platz, er wird schnell unruhig, rennt auf der Stelle, die Knie fast an der Brust. Er spreizt die Finger und wirft die Hände fort, und dann kann er nicht mehr, er muss wieder los, hinaus auf den Steg, er möchte schreien. Er ist wie eine Biene, er will Nektar saugen, Energie saufen, und er weiß: Er bekommt sie bei den Menschen.

Ergreifend ist die Vorstellung der Band. Charlie Watts kommt in seinem knallroten T-Shirt nach vorne an den Bühnenrand und verbeugt sich. Ron Wood scheint um 25 Jahre verjüngt und hat sein grelles T-Shirt offenbar der Tochter gestohlen. Er wird von Jagger mit diesem Scherz bedacht: "Schönes T-Shirt. Gibt's das auch für Männer?". Und als Keith Richards nach vorne kommt, erheben sich auch diejenigen auf den Sitzplätzen. Sie jubeln, es hört nicht auf, ein Dankeschön für 50 Jahre, und Richards trommelt mit den Fäusten gegen seine Lenden und hockt sich hin wie ein Gorilla.

In jeder Stadt lassen die Stones die Fans über deren Lieblingslied abstimmen, das wird dann gespielt. Jagger sagt, er habe gehört, das Lieblingslied der Düsseldorfer heiße "Tage wie diese", was ein Ritterschlag für die Toten Hosen ist. Dann singt er "Street Fighting Man".

Normalerweise setzt sich ein Konzertereignis aus drei Elementen zusammen: Musik, Performance der Musiker und Reaktionen des Publikums. Hier wird diese Regel außer Kraft gesetzt, Musik und Performance sind beinahe egal, allein Musiker und Publikum sind wichtig. Das ist kein Konzert, sondern eine Begegnung, ein Zusammentreffen, und es ist nicht naiv zu glauben, dass das für die Band ebenso eindrucksvoll sein dürfte wie für ihre Fans. Der Auftritt wird mit jedem Lied intensiver, und zum Schluss geben die Stones den Klassiker, das Urmeter des Rock'n'Roll. Bei "Satisfaction" begreifen erwachsene Kinder, die einst von ihren Eltern nicht verstanden wurden, dass sie nun selbst Eltern von Kindern sind, die sie nicht verstehen. Sie begreifen, dass das der Lauf der Welt ist und dass alles wieder von vorne los gehen muss, damit jeder sein Leben leben kann, sein ganz eigenes.

Auch wegen solcher Gedanken ist es bei den Rolling Stones so schön.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort