Wuppertal Balkenhols Maß für Maßlosigkeit

Wuppertal · Im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden hat sich der Bildhauer mit Skulpturen ausgebreitet. Bis 12. Oktober.

Dieser Mann ist nicht von dieser Welt. Er ist ja nur eine Figur. Für die Ewigkeit erschaffen. Übergroß mit seinen 5,80 Metern. Gar nicht erschöpft angesichts der weiten Reise, die er hinter sich hat. Vom Forum Romanum in Rom, wo er 2009 errichtet wurde, ging es nach Salzburg auf Tournee, dann gastierte er in Kassel. Jetzt wurde er den steilen Weg hoch gehievt auf den Waldfriedenhügel in Wuppertal. Ganz nackt ist er. Zweigeteilt und zusammengeschraubt. Gebaut aus einem 15 Tonnen schweren Stamm Libanonzeder aus Polen. Sein neuer Platz ist nicht historisch, sondern idyllisch. Inhaltliche und formale Bezüge haben sich verkehrt. Die Baumkronen schmeicheln dem Schönen. Das war nicht die Absicht des Bildhauers.

Stephan Balkenhol kommt jetzt schnellen Schrittes heran, um die Arbeit zu komplettieren. Er wirft Geldstücke um den Torso auf den Stein, metallisches Klimpern attackiert die Ohren in ohrenbetäubender Lautstärke. Immer mehr Münzen wirft er hin, aus Kupfer, aus Blei. "Immer mehr . . ." so nennt er auch diesen hölzernen Kerl, der in einer Zeit entstand, als der Börsencrash allgegenwärtig war. Ein Mahnmal für Maßlosigkeit: "Jetzt steht er da in diesem Überfluss von Geld!" Auch Melancholie umgibt die Figur, die großen, fein bemalten Augen verraten Skepsis unserer Zeit gegenüber. "Zum Menschen gehört, dass er seine Grenzen überschreitet", sagt der Künstler, "aber wer immer mehr will, ist nie zufrieden."

Zufrieden ist Tony Cragg, sehr sogar. "Ich bin erschlagen von den Skulpturen", sagt er, "und neidisch". Den Koloss namens "Sempre più" findet er genial, fantastisch. Balkenhol lobt zurück, Craggs Kunst, den paradiesischen Park in Wuppertal. Alles fügt sich, der Wald als wundervolle Kulisse, die die Holzskulpturen lustvoll einrahmt.

Der britische Bildhauer hat in das von ihm privat bewirtschaftete Kunst-Areal seinen Künstlerfreund Balkenhol gelockt, ein stiller Aktueller - auch Arbeitstier - der nie die Zigarette aus der Hand legt. Er hat einen anderen Weg beschritten, anders als sein Lehrer Ulrich Rückriem die figurative Skulptur neu begründet, die Menschenplastik von politischen oder allegorischen Implikationen befreit. Mitunter wurde er angegriffen wegen der einfachen, unaufdringlich anmutenden Formensprache; heitere Belanglosigkeit attestierte man ihm, "Holzköppe für alle", schrieb ein böser Kritiker. "Meine Skulpturen erzählen keine Geschichten", sagt Balkenhol. "In ihnen versteckt sich etwas Geheimnisvolles. Es ist nicht meine Aufgabe, es zu enthüllen, sondern die des Zuschauers, dieses Geheimnis zu entdecken." Er gibt seinen Figuren bewusst einen indifferenten Ausdruck, damit dem Betrachter Deutungsmöglichkeiten bleiben.

In der lichten Halle auf dem Wuppertaler Hügel stehen, sitzen und lauern weitere Arbeiten, zum Teil ganz neue. So wie der Künstler sie anordnet, entwickeln sie eine Präsenz, die der des menschlichen Wesens im Raum entspricht. Das Paar nebeneinander auf zwei Sockeln - "Frau in gelbem Kleid/Mann mit rotem Hemd" - das scheint winzig, verniedlichend. Im Bodenrelief Mann-Frau sind Mann und Frau regelrecht zu Hackfleisch verarbeitet. Allerdings sehr kunstvoll. Großer Mann mit weißem Hemd und schwarzer Hose - ein typischer Balkenhol, vor wenigen Tagen erst fertiggestellt, einer seiner Prototypen, die alle ein wenig dem Künstler ähneln, der ohne Vorlage, rein aus dem Kopf arbeitet. Die Kleidung ist einfach, die Frauen tragen Etuikleid, die Männer schwarze Hose, weißes Hemd. Ohne Hinweise auf die soziale Herkunft der Figuren.

Die Figuren schlägt Balkenhol aus dem Stamm heraus, intuitiv. Er schleppt, sägt, haut mit dem Beitel. Dann erst kommt der finale Akt. Anmutig liegt der Hermaphrodit auf seinem hölzernen Lager, das doppelte Geschlecht vermag die Ausstrahlung dieser Figur noch zu vergrößern. Sie hat ein berührendes, zauberhaftes Antlitz, das aus wenigen malerischen Farbaufträgen entstand, der rosa Mund, die blauen Augen. Das Malen erst erweckt die Figuren zum Leben. Stephan Balkenhol: "Das ist ein ganz toller Moment, wenn die Figuren plötzlich anfangen, zu schauen."

(RP)
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