Düsseldorf Die Magie des Kunstmarkts

Düsseldorf · Wenn es um Kunst geht, scheinen viele Zeitgenossen den Verstand zu verlieren. Die Verehrung von Kunst nimmt religiöse Züge an.

Harald Falckenberg, Hamburger Unternehmer, Jurist und einer der bedeutendsten Sammler von Gegenwartskunst, traf ins Schwarze, als er kürzlich bei einer Podiumsdiskussion in Düsseldorf launig den Kunstmarkt beschrieb: "Diejenigen, die über Helge Achenbach Kunst erworben haben, arbeiten in Unternehmen, in denen alles, aber auch alles kontrolliert wird. Sobald sie ihre Büros verlassen, sind sie gutgläubig, gehen Risiken ein. Jeder hätte ihnen sagen können, wer Achenbach ist."

Sobald es um Kunst geht, scheinen deren Liebhaber aus dem Alltag zu entschwinden - in eine Sphäre, in welcher der sonst alles beherrschende Verstand sich dezent zurückzieht. In der Kunst und auf dem Kunstmarkt gelten offenbar andere Gesetze. Wer sich als Sammler in ein Bild verliebt hat, neigt dazu, auf einer Auktion nahezu unkontrolliert mitzubieten und sogar Schulden in Kauf zu nehmen, nur um das Objekt seiner Begierde einzusacken. So kommen die irrsinnig hohen Summen zustande, die sich schon seit Jahren international für sogenannte Spitzenwerke erzielen lassen. Die Künstler selbst bleiben dabei noch am ehesten nüchtern. Immer wenn der Kölner Maler Gerhard Richter auf Preisrekorde seiner Werke angesprochen wird, äußert er sein Unverständnis für derlei Eskapaden.

Für die Sammler aber ist ein solches Kunstwerk mehr als ein ideeller Wert und vielleicht noch eine Geldanlage - das begehrte oder schon erworbene Bild nimmt für sie religiöse Züge an; als Gral, als Verkörperung der Sehnsucht schlechthin, als Krönung der eigenen Existenz.

Nur so lässt sich erklären, dass mancher Sammler nicht so genau hinschaut, wenn es um den Preis und vor allem um die Echtheit des Objekts geht. Wolfgang Beltracchi, der als Fälscher verurteilt wurde, hat der Kunstwelt die Zunge rausgestreckt, indem er äußerte, dass man seine Fälschungen leicht hätte erkennen können, hätte man es nur gewollt. Wenn nicht jahrelang alle Kontrollen des Marktes versagt hätten, wäre Beltracchi niemals berühmt geworden. Noch heute, so deutet er an, hängen zahlreiche seiner Fälschungen unentdeckt in Museen. Und mancher private Sammler will gar nicht so genau wissen, ob sein Lieblingsstück in Wahrheit ein Beltracchi ist.

Auch dies ist eine Besonderheit des Kunstmarkts: Nirgends sonst spielt das Original, das Unikat eine so große Rolle wie dort. Wer das Unikat hat, besitzt den Gral. Wer eine Kopie hat, der hat gar nichts. In früheren Zeiten ging die Menschheit mit dem Originalitätsbegriff großzügiger um. Der weitaus umfangreichste Teil des Lebenswerks von Pieter Brueghel dem Jüngeren besteht aus Bildern, die er nach vorhandenen oder bekannten, aber verschollenen Originalen seines Vaters Pieter Brueghel des Älteren malte. Das Kopieren hatte damals nichts Anrüchiges, im Gegenteil. Auch ob ein Gemälde Rembrandts ausschließlich von ihm selbst stammt oder überwiegend von Mitarbeitern seiner Werkstatt ausgeführt wurde, spielte ehedem nicht annähernd eine so große Rolle wie heute, im Zeitalter des hoch verehrten Unikats. Wie das Wunschobjekt auf dem Kunstmarkt trägt heutzutage auch das Unikat religiöse Züge.

In jüngster Zeit trat der religiöse Charakter von Kunst noch auf einem anderen Feld zutage: in der Diskussion darüber, ob das Land Nordrhein-Westfalen befugt sei, zwei Bilder von Andy Warhol versteigern zu lassen, die der NRW-Tochtergesellschaft Westspiel GmbH gehörten. Sofort traten gut zwei Dutzend Museumsdirektoren auf den Plan, um vor dem "Ausverkauf von Kunst" zu warnen. Warum sollte ein Spielcasino nicht Kunst verkaufen, die es einst als Dekoration erwarb und jetzt nicht mehr benötigt? Ganz einsichtig ist nicht, dass die beiden Warhols in ein Museum gehören sollen. Ohnehin sind die beiden Museen, die dafür in Nordrhein-Westfalen in Frage gekommen wären - die Kunstsammlung NRW in Düsseldorf und das Museum Ludwig in Köln - bereits mit exzellenten Werken des amerikanischen Pop-Künstlers ausgestattet. Allein eine öffentliche Diskussion über die geplante Versteigerung hätte die Landesregierung dem Volk schon gönnen sollen. Dann hätte die Kulturstiftung des Bundes noch die Chance gehabt, die mit Charisma aufgeladenen Bilder in Deutschland zu halten.

Wenn es um Kunst geht, dann geht es fast immer um mehr als nur um Kunst. Im Zusammenhang mit den Warhols war kurioserweise zeitweilig von "nationalem Kulturgut" die Rede, fast als handelte es sich dabei um einen ethischen Wert. Und Ethik ist ohne Religion nur schwer denkbar.

Kunst ist für viele eine Gegenwelt zur verstandesregierten Wirtschaftswelt geworden - ein Kosmos, in dem statt Erhöhung des Gewinns die wahren Werte gelten: Mitmenschlichkeit, Uneigennützigkeit und so etwas Altmodisches wie Schönheit, auch wenn über Schönheit von heute nicht mehr eine Einigkeit herrscht wie in alten Zeiten. Was Kunst für viele Zeitgenossen so einzigartig erscheinen lässt, ist deren unwiderstehlicher, den Verstand übersteigender, oft schwer ergründlicher Sinn. Also das, was wir auch an Weihnachten zu schätzen wissen.

(RP)
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