Analyse Barack Obama droht die völlige Entmachtung

Washington · Am 4. November finden in den USA Kongresswahlen statt. Hatten 2012 die Hispanics, schneller wachsend als jede andere Wählergruppe, das Duell um die Präsidentschaft noch zugunsten Obamas entschieden, dürften viele diesmal enttäuscht zu Hause bleiben. Die Republikaner erwarten die Mehrheit auch im Senat.

Mitch McConnell träumt vom Wandel. "Bei dieser Wahl geht es nur um eine Frage", sagt der Senator aus Kentucky: "Wie schaffen wir es, den Status quo aufzubrechen?" Das klingt umso verwegener, weil McConnell rein optisch eher ans Klischee eines Buchhalters denken lässt. Spricht der Konservative von Wende, meint er die Machtbalance: Gewinnen die Republikaner bei der Zwischenwahl zum US-Kongress am 4. November im Senat sechs Sitze dazu, dann haben sie den Demokraten die Mehrheit in der kleineren, feineren Parlamentskammer abgenommen. Da sie die größere, das Repräsentantenhaus, wohl auch nach der Wahl beherrschen dürften, hätten sie den Kongress komplett unter Kontrolle.

Damit ließe sich noch wirksamer blockieren, was immer die Regierung Brack Obamas durchsetzen will. Strengere Umweltauflagen wären wohl bald Makulatur, beim Militär würde nicht länger gespart, das Weiße Haus käme unter zunehmenden Druck, dem Bau der ökologisch umstrittenen Keystone-XL-Pipeline von den Teersandfeldern Kanadas zum Golf von Mexiko zuzustimmen.

Die Totalopposition, die McConnell bereits ankündigte, als Obama 2008 seinen ersten Wahlsieg feierte, würde dem Staatschef bis zum Abschied vollends die Hände binden, zumindest innenpolitisch. Und McConnell selber würde aufsteigen, vom Sprecher der konservativen Minderheit zum Mehrheitsführer des Senats.

Es sind viele Gründe, die den Optimismus der Republikaner erklären, ein demografischer, ein wahlgeografischer und schließlich das Dilemma eines Präsidenten, dem niemand mehr einen großen Wurf zutraut. Während das Rennen ums Oval Office auch die Jungen mitreißt, sind es bei den "Midterm Elections" vor allem die Älteren, die pflichtbewusst wählen gehen. Ergo treten weit mehr Senioren an die Urnen, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Daraus wiederum ergibt sich ein deutliches Übergewicht weißer Wähler - es ist, als hätte jemand die Uhrzeiger zurückgedreht in die achtziger Jahre. Hatten 2012 die Hispanics, schneller wachsend als jede andere Wählergruppe, das Duell um die Präsidentschaft noch zugunsten Obamas entschieden, dürften viele von ihnen diesmal zu Hause bleiben - auch aus Enttäuschung über eine zwar angekündigte, inzwischen aber versandete Reform des Einwanderungsrechts.

Dann die Wahlgeografie. Während die 435 Sitze des Repräsentantenhauses alle zwei Jahre neu zu bestimmen sind, werden Senatoren für sechs Jahre gewählt, was zur Folge hat, dass der Souverän alle zwei Jahre jeweils ein Drittel von ihnen bestätigt beziehungsweise auswechselt. Diesmal ist Obamas Drittel an der Reihe - jene Demokraten, die 2008 von der Welle der Begeisterung um den Senkrechtstarter zum Sieg getragen wurden. In Colorado etwa muss sich Mark Udall, seinerzeit dank der Obama-Euphorie erstmals in die Senatskammer eingezogen, Sorgen um seine Wiederwahl machen. In West Virginia nimmt mit Jay Rockefeller, dem Urenkel des Ölmagnaten John D. Rockefeller, ein Demokrat seinen Hut, der sein Mandat seit 1984 gepachtet zu haben schien. Dort, im Kohlegrubenmilieu der Appalachen, ist Obama so unpopulär, dass aller Wahrscheinlichkeit nach eine Republikanerin gewinnt. Auch in Michigan, wo das demokratische Urgestein Carl Levin nach 36 Senatsjahren aufhört, wittert die "Grand Old Party" Morgenluft. In Alaska, Arkansas, Louisiana, Montana und North Carolina haben demokratische Senatoren größte Mühe, ihr Mandat zu verteidigen. Einen Silberstreif sieht die Partei mit dem Eselswappen allenfalls in Georgia, wo sich Michelle Nunn, Tochter eines beliebten Ex-Senators, Chancen ausrechnet.

Schließlich der Faktor Obama, der 2014 ein Malus ist, kein Bonus wie noch 2008. Nur 43 Prozent der Amerikaner sind zufrieden mit ihrem Präsidenten. Zwar konnte er sich ein wenig aufrappeln aus dem sommerlichen Umfragetief, als er dem "Islamischen Staat" den Krieg erklärte und für kurze Zeit eine Art patriotischen Schulterschluss auslöste. Doch da im Ringen mit dem IS die Erfolge ausbleiben, kehrt die Ernüchterung zurück.

Dass die Wähler enttäuscht sind von der Obama-Bilanz, führt die Politikwissenschaftlerin Elizabeth Drew auch auf die "bemerkenswert erfolgreiche" Blockadetaktik der Republikaner zurück. Der Stillstand lasse die Bürger nur noch spotten über den "Do-nothing-Congress", den Kongress, der kaum ein Problem mehr löse. Der Zynismus, prophezeit Drew, wird die Wahlbeteiligung zusätzlich drücken, unter Obamas Anhängern freilich stärker als unter seinen Gegnern - ein weiterer Pluspunkt für McConnells Fraktion.

(RP)
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