Analyse Betreuungsgeld - ein deutscher Streit

Berlin · Dienstag entscheidet das Verfassungsgericht über die Zukunft des Betreuungsgeldes, um das die Parteien so intensiv stritten wie über kein anderes familienpolitisches Instrument. Das Thema ist nicht nur ideologisch aufgeladen.

Wenn das Verfassungsgericht nächsten Dienstag über das Betreuungsgeld entscheidet, werden die einen von Wahlfreiheit zwischen Familien- und Kita-Betreuung sprechen, die anderen von der "Herdprämie", die Mütter vom Wiedereinstieg in den Beruf abhalte. Es geht also um den Streit der Familienbilder, wie er in vielen Ländern mit ideologischem Hintergrund ausgefochten wird, aber es geht auch um den damit verbundenen Streit um Gleichbehandlung, wie er vor allem in Deutschland beliebt ist.

Beide Seiten können beim Betreuungsgeld schnell leidenschaftlich werden. Eher linke Parteien sehen in den 150 Euro vom Staat für ausschließlich zu Hause erzogene Kleinkinder eine Versündigung am Kindeswohl, weil gerade finanziell knapp ausgestattete Familien das als Anreiz ansehen könnten, ihren Nachwuchs von der Kita fernzuhalten, obwohl gerade sie die soziale und sprachliche Förderung durch den Staat am nötigsten hätten. Außerdem solle damit das verstaubte Rollenverständnis der Mutter am Herd belohnt werden.

Die Verfechter des Betreuungsgeldes verweisen auf die Kehrseite der hohen Kita-Dichte in der ehemaligen DDR, die es nicht nur beiden Eltern ermöglichte, schon bald nach einer Geburt wieder arbeiten zu gehen, sondern auch dem Staat die Möglichkeit zur Erziehung sozialistischer Menschen gab, noch bevor sie richtig laufen konnten.

Nicht von ungefähr war es der Thüringer CDU-Politiker Dieter Althaus, der das Betreuungsgeld als Gegengewicht zur Kita-Betreuung als Ausdruck von "Wahlfreiheit" in die Diskussion brachte.

Aber auch er hatte keine Weltneuheit erfunden. In den skandinavischen Ländern gehört das Betreuungsgeld für Nicht-Kita-Nutzer seit Jahren zu den selbstverständlichen staatlichen Leistungen. Warum also ist das Instrument ausgerechnet in Deutschland so umstritten?

Vermutlich spielt ein hierzulande deutlich größerer Neidkomplex eine Rolle. Wenn Amerikaner gefragt werden, ob sie lieber 80 000 Dollar verdienen möchten, wenn die meisten Kollegen 70 000 Dollar bekommen, oder lieber 90 000 Dollar, wenn die meisten Kollegen 100 000 Dollar erhalten, achten diese auf den individuellen Verdienst und nehmen die 90 000. Dagegen votieren in Deutschland mehr für den geringeren Betrag und das Gefühl, mehr als die anderen zu haben, obwohl sie weniger in der Tasche haben, als sie haben müssten.

So ist zu erklären, warum in der deutschen Debatte um das Betreuungsgeld Argumente auftauchten wie: "Wenn Eltern 150 Euro bekommen, weil sie die Kita nicht in Anspruch nehmen, dann will ich auch 100 Euro haben, weil ich keine subventionierten Konzertkarten in Anspruch nehme." Oder: "Dann soll der Staat mir als Autofahrer auch Geld dafür geben, dass ich den öffentlichen Nahverkehr nicht nutze."

Kann man wertfrei dazu kommen, dass es im Interesse der Gemeinschaft ist und sie sich das auch etwas kosten lässt, wenn sich Familienangehörige um andere Familienmitglieder besonders kümmern, statt das dem Staat zu überlassen? Ja, man kann. Wenn es sich um pflegende Angehörige handelt, denkt kein Mensch daran, den Anspruch aus der Pflegeversicherung in Abrede zu stellen. Es würde wohl auch niemand ein antiquiertes Weltbild unterstellen.

Warum also ist es bei den Kindern so viel anders als bei den Pflegebedürftigen? Weil offenkundig doch die Ideologie dahinter steht und es um die vielzitierte "Lufthoheit" über den Köpfen der Kinder geht. Und da neigt die eine politische Richtung eben mehr zum Staat und die andere mehr zur Familie. Bei der Ausführung des Bundesgesetzes durch die Länder schlug sich das auch in den bürokratischen Hürden nieder, die je nach Färbung der Koalition mal kleiner, mal größer gestaltet wurden. Trotz allem ist das Betreuungsgeld alles andere als der von Rot-Grün vorhergesagte Flop: Die Zahl der Empfänger hat sich binnen eines Jahres mehr als verdreifacht.

Ob die Richter das alles in ihrer Entscheidung abwägen, ist eher zweifelhaft. Das Verfassungsgericht hat es zumeist vermieden, der Gesellschaft ein Rollenbild vorzuschreiben. Dienstag wird die Frage im Vordergrund stehen, ob der Bund die Befugnis hat, sowohl den Krippenausbau massiv zu unterstützen als auch ein Betreuungsgeld einzuführen. Nach den kritischen Nachfragen bei der mündlichen Verhandlung rechnen die meisten Beobachter damit, dass das Betreuungsgeld in der jetzigen Form keinen Bestand haben wird. Möglicherweise wird es völlig kassiert. Andere rechnen damit, dass die Verfassungsrichter einzelne Aspekte monieren und dem Gesetzgeber Zeit zur Nachbesserung geben.

Unionspolitiker wollen es so oder so erhalten. So verweist Sachsen-Anhalts Fraktionschef André Schröder darauf, dass seine Partei von Anfang an für mehr Flexibilität und etwa eine Kombination mit dem Elterngeld plädiert habe. "Die Eltern würden dann frei wählen, ob sie ihre Kinder ein, zwei oder drei Jahre zu Hause betreuen möchten", so Schröder. Ähnlich funktioniert das Thüringer Modell des Landeserziehungsgeldes, das jedoch laut Beschluss der rot-rot-grünen Koalition 2017 ausläuft, wie CDU-Fraktionschef Mike Mohring beklagt.

Unabhängig vom Ausgang der Verfassungsbeschwerde können sich mehrere Fraktionschefs gut vorstellen, dass der Bund die bisherigen Mittel weiter zahlt und die Länder dann entscheiden, ob sie es in ein Betreuungsgeld stecken oder zusätzlich in Kitas investieren. Das CDU-Zukunftspapier sieht ebenfalls eine Weiterentwicklung vor: Demnach soll das Betreuungsgeld wahlweise nur im zweiten Lebensjahr und dafür dann in doppelter Höhe beantragt werden können.

(RP)
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