Analyse zur Europa-Rede des Bundespräsidenten Gauck gibt den Versteher statt den Kritiker

Berlin · Die Erwartungen an Joachim Gaucks Europa-Rede waren groß. Nicht alle wird er erfüllt haben. Aber er hat mit klaren Worten seine Sicht auf die EU und die Euro-Krise skizziert. Er hat die Ängste der Bürger aufgegriffen, ohne groß Kritik an der deutschen Politik zu üben. Für manchen war das vielleicht zu wenig. Eine Analyse.

Er soll sehr angespannt gewesen sein vor diese Rede, die seine größte seit Amtsantritt werden sollte. Und er dürfte bis in die letzten Minuten am Manuskript gefeilt haben. Denn Joachim Gauck war klar, dass er ein Thema gewählt hatte, dass viele Menschen frustriert und die Politik vor enorme Herausforderungen stellt.

Eines aber kann Gauck, der jetzige Bundespräsident, der frühere Bürgerrechtler und Pfarrer: reden. Auch wenn er seit Beginn seiner Amtszeit auch mal mit dem ein oder anderen Satz daneben lag: Er weiß, wie er die Menschen mitnehmen kann, sie an der Rede teilhaben lässt. Und so ist es auch an diesem Freitagvormittag im Schloss Bellevue.

Gauck kommt direkt auf das zu sprechen, was vielen Menschen in Europa auf dem Herzen liegt: die Bewältigung der Euro-Krise und die damit einhergehenden finanziellen Verpflichtungen ihrer Mitgliedsstaaten. "So viel Europa war nie", sagt er, um direkt hinzuzufügen: "Es belastet." EDr spricht von dem Unbehagen, der Unsicherheit der Bürger, einen Unmut, den man nicht ignorieren dürfe. "Es gibt Klärungsbedarf in Europa", sagt er.

Selbstreflexion eines Bundespräsidenten

Aber er macht auch deutlich, dass er nicht zu denen gehört, die den Euro und am liebsten gleich auch die gesamte Idee der EU abschaffen wollten. Deshalb rede er nun zu den Bürgen und wolle sich mit ihnen gemeinsam dieses Projektes versichern. Und er gibt sich selbstkritisch, sagt, dass er seinen Satz aus Beginn seiner Amtszeit "Mehr Europa wagen" heute nicht einfach mehr so in den Raum werfen würde, dass dieser eine Einordnung brauche.

Gauck reflektiert, blickt zurück. Und an mancher Stelle glaubt man sich an die Regierungserklärungen der Kanzlerin zu erinnern, wenn er etwa betont, dass die mit der EU verknüpfte Hoffnung "Nie wieder Krieg", war. Wenn er sagt, dass die Vorteile der Europäischen Vereinigung überwiegen. Oder auch wenn er sagt, dass es innerhalb der Union ein Geben und Nehmen muss und dass sie für niemanden eine Einbahnstraße sein darf.

Doch Gauck schafft es, nicht zu ermüden, auch wenn er von der historischen Bedeutung spricht. Und er greift immer wieder Dinge aus dem Alltag auf, die deutlich machten, wie sehr die Europäische Union schon zu unserem Alltag gehört — vom internationalen Fußballspieler bis hin zum deutschen Rentner, der nun unter spanischer Sonne seinen Lebensabend genießen kann.

Der Versuch, die Ängste zu nehmen

Auch die Jugend spricht er direkt an, erinnert sie an europäische Austauschprogramme und Musikfestivals, die es ohne Europa nicht gebe. Er macht deutlich, wie wichtig dieses Projekt ist, zeigt auf, welche Vorteile die Bürger davon haben. Versucht, ihnen die Ängste vor einem engeren Zusammenschluss zu nehmen, in dem er die Vorteile aufzählt.

Doch direkte Kritik an der Arbeit der Bundesregierung sucht man in Gaucks Rede vergebens. Zu wichtig scheint ihm das Projekt Europa und zu klein scheinen die Zweifel an dem Weg zu sein, den Berlin geht. Vielmehr ist es ihm wichtig, auch nach außen hin, über die Grenzen Deutschlands hinweg die deutsche Politik in der Krise erklären zu wollen.

Er spricht direkt die Briten und ihre Europa-Skepsis an. Er sagt, man brauche sie und ihre Erfahrung in der EU. Er betont, dass es kein deutsches Diktat geben solle, dass er erschrocken gewesen sei über die ausländischen Reaktionen an Angela Merkels Politik. Lob bekommt er dafür später in der ARD in einer ersten Reaktion vom britischen und spanischen Botschafter.

Kritik übt Gauck indirekt daran, dass Kommunikation in der EU fehle, schließt aber die Bürger da mit ein. Kritik übt er daran, dass Brüssel die Schuld gegeben werde, wenn doch Fehler auf nationalstaatlicher Ebene gemacht würden. Er zeigt aber deutlich auch die Fehler auf hinsichtlich des Euro, nennt die Einführung folgenschwer, auf Druck habe die Politik zum Glück reagiert.

Der Spagat ist gelungen

Er weiß genau, was die Ängste der Bürger geschürt hat und benennt sie klar und deutlich. Aber er nimmt nicht nur die Politik in die Pflicht, diese Ängste ernstzunehmen und aufzuweichen, sondern die gesamte Gesellschaft — von der Politik über die Medien bis hin zu den einzelnen Bürgern.

Manch einem Europa-Skeptiker dürfte das zu wenig gewesen sein, mancher dürfte nach dieser Rede nicht weniger Ängste verspüren. Doch viele dürften sich in Gaucks Worten zumindest wiedergefunden haben. Und dem Präsidenten selbst ist der Spagat gelungen, den Unmut innerhalb der Bevölkerung aufzugreifen und ernst zu nehmen und zugleich die Kanzlerin nicht vor den Kopf zu stoßen, in Bezug auf ihre Arbeit für die Europäische Union und die Euro-Krise.

Seine größte Rede würde es werden, hatten viele ihm Vorfeld gesagt. Und es war sicherlich eine seiner wichtigsten, denn sie griff das wohl derzeit wichtigste Thema auf. Es war eine gute, trotz 50 Minuten Länge kurzweilige Rede. Ob sie allerdings in die Geschichte eingeht, das mag eher bezweifelt werden.

(das)
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