Türkische Gemeinde will Absetzung Koch: Sarrazins Äußerungen "unerträglich"

Berlin (RPO). Der scheidende hessische Ministerpräsident Roland Koch hat Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin wegen dessen jüngster Äußerungen über muslimische Einwanderer angegriffen. Die türkische Gemeinde in Deutschland erwartet derweil entschiedene Schritte gegen Sarrazin.

Thilo Sarrazin liebt klare Worte
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Foto: AP

"Die Äußerungen Sarrazins sind unerträglich. Damit stellt er sich völlig ins Abseits", sagte der CDU-Politiker der "Bild am Sonntag". Zwar spreche Sarrazin Probleme an, denen die Gesellschaft nicht ausweichen dürfe. "Ihm selbst geht es aber offenbar nur noch um Verbalradikalismus und Tabubrüche."

Kochs CDU startete im hessischen Wahlkampf 1999 eine Initiative gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und gewann damit gegen die SPD. Die Grünen warfen ihm damals geistige Brandstiftung vor.

Scharfe Kritik von Özkan

Die erste türkischstämmige und muslimische Ministerin in Deutschland, Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU), kritisiert Sarrazins Aussagen scharf. In der "Bild am Sonntag" warf sie ihm vor, Migranten mit seinen umstrittenen Thesen zu verletzen und pauschal zu diskreditieren. "

Es gibt unendlich viele fleißige Zuwanderer - diese verdienen Respekt, nicht Häme. Alle jene, die sich einbringen, die ihre Kinder motivieren, die Deutsch lernen, die als Arbeitnehmer Steuern zahlen, die als Unternehmer Arbeitsplätze schaffen - sie alle verdienen Respekt."

Özkan, deren Eltern 1963 aus der Türkei nach Deutschland kamen, forderte von Sarrazin mehr Respekt gegenüber den Zuwanderern: "Ich wünsche mir, dass Herr Sarrazin endlich stärker anerkennen würde, was auch die Zuwanderer für unser Land und den Wirtschaftsaufschwung geleistet haben. Nicht nur die erste Generation vor 50 Jahren, sondern auch heute tagtäglich."

Probleme bei der Integration von Migranten in die deutsche Gesellschaft zu benennen und kritisch zu analysieren, "ist wichtig, das brauchen wir". Aber diese Probleme würden nicht gelöst, "indem man Menschen ständig pauschal diskreditiert".

Regierung soll Sarrazin absetzen lassen

"Ich fordere die Bundesregierung auf, ein Verfahren zur Absetzung von Thilo Sarrazin als Bundesbank-Vorstand einzuleiten", sagte Kenan Kolat, Chef der türkischen Gemeinde in Deutschland, der "Frankfurter Rundschau". Mit der Veröffentlichung seines Buches "Deutschland schafft sich ab" habe Sarrazin alle Grenzen überschritten. "Das ist die Krönung eines neuen intellektuellen Rassismus und es schadet Deutschlands Ansehen im Ausland."

Insgesamt zeigte Kolat sich allerdings zufrieden mit der Reaktion der deutschen Politik und Gesellschaft. "Ich bin sehr froh, dass die Bundeskanzlerin so klar von Diffamierung gesprochen hat" sagt er und lobte auch die Reaktionen der SPD-Parteispitze, der Grünen, der Linkspartei und der Integrationsbeauftragten des Bundes, Maria Böhmer. Dank zollte Kolat auch dem Zentralrat der Juden für dessen klare Verurteilung von Sarrazins Äußerungen.

Als SPD-Mitglied sei Kolat zuversichtlich, dass seine Partei ein weiteres Ausschlussverfahren gegen Sarrazin anstrengen wird. "Er wird selbst gehen oder er wird gegangen werden", ist sich Kolat sicher. Ansonsten werde die SPD Migranten verprellen und viele Wähler verlieren. Die Bundespressekonferenz rief er dazu auf, die Veranstaltung abzusagen, bei der Sarrazin am Montag sein Buch offiziell vorstellen will.

Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer erhob schwere Vorwürfe gegen Sarrazin. Sie sagte der Zeitung, Sarrazin zeichne mit seiner pauschalen Polemik ein Zerrbild der Integration in Deutschland, das jeder ernstzunehmenden wissenschaftlichen Untersuchung nicht stand halte. "In seinen Ausführungen nennt er stets nur die halbe Wahrheit: Es ist unbestritten, dass es gerade bei der Bildung vieler Migranten großen Nachholbedarf gibt." Um dies festzustellen, bedürfe es aber nicht der Aussagen Sarrazins.

(AFP/DDP/apn/das)
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