Koch-Mehrin wird befördert Selbst die FDP kann es nicht nachvollziehen

Berlin/Brüssel (RPO). Die Plagiatsaffäre um Silvana Koch-Mehrin nimmt bizarre Formen an. Erst die akademische Blamage, dann die Beförderung in Brüssel und das auch noch ausgerechnet in einem Ausschuss, der sich mit Wissenschaft und Forschung befasst. Die Grünen überziehen Koch-Mehrin nun mit Spott. Selbst die FDP-Parteispitze reagiert mit Unverständnis.

Das ist Silvana Koch-Mehrin
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Nach einer Entscheidung der europäischen Liberalen wird die Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin Vollmitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments. Zuvor war sie nur stellvertretendes Mitglied. Koch-Mehrin teilte dies auf ihrer eigenen Internetseite mit.

Die politische Verantwortung für den Bereich Wissenschaft steht im krassen Gegensatz zu ihrer eigenen akademischen Karriere. Erst wenige Tage zuvor hatte ihr die Universität Heidelberg den Doktortitel aberkannt. Koch-Mehrin hat umfangreich bei Dritten abgeschrieben, befanden die Prüfer.

Der Forschungsausschuss kümmert sich der Internetseite des Europaparlaments zufolge um "die Forschungspolitik der Union, einschließlich Verbreitung und Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse". Weitere Ironie: Koch-Mehrin übernimmt die Position ihres Kollegen Jorgo Chatzimarkakis, der bislang Vollmitglied des Gremiums war. Auch er steht unter Plagiatsverdacht.

Die Reaktionen im Inland ließen nicht lange auf sich warten. Die Grünen kommentierten Koch-Mehrins Berufung mit Spott. "Vielleicht lernt sie da ja wissenschaftliches Arbeiten", sagte der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold am Donnerstag in Brüssel der Nachrichtenagentur AFP. "Dann kann sie bei der Übernahme von Änderungsvorschlägen von Lobbyisten in Zukunft Quellenangaben machen."

Auch bei der FDP wundert man sich. Der Schritt habe Kopfschütteln hervorgerufen, hieß es am Donnerstag aus Kreisen der Parteiführung.

Wechsel seit 2009 geplant

Ein Sprecher der FDP im Europäischen Parlament verwies darauf, dass die Themen des Ausschusses vielfältig seien. "Frau Koch-Mehrin wird damit nicht zwingend Forschungspolitikerin", betonte er.

Die FDP-Politikerin will ihr Mandat im Europaparlament trotz der Aberkennung ihres Doktortitels behalten. Unter dem Druck der Plagiatsvorwürfe hatte Koch-Mehrin im Mai aber ihre Posten als Vizechefin des Europaparlaments und im FDP-Präsidium abgegeben. Auf ihrer Website teilte Koch-Mehrin mit, dass sie sich auch weiterhin den Themen "Digital Agenda, Informationstechnologie, Telekommunikation und Internet" widmen wolle - wie schon als stellvertretendes Mitglied des Ausschusses.

Nach Angaben des Sprechers der europäischen Liberalen gibt es Überlegungen, wonach sich Koch-Mehrin stärker im sogenannten ITRE-Ausschuss engagieren wolle, schon seit längerem. Auch Chatzimarkakis ließ mitteilen, dass der Tausch gemäß einer Abmachung "turnusgemäß" erfolgt sei. "Diese Abmachung existiert bereits seit 2009 und hat nichts mit aktuellen Vorgängen zu tun."

In der Parteiführung bleiben die Zweifel. Was von langer Hand geplant sei, könne auch wieder rückgängig gemacht werden, hieß es. Forderungen, Koch-Mehrin solle ihr Mandat im Europäischen Parlament wegen der Plagiatsaffäre gänzlich niederlegen, werden von der Partei aber weiterhin zurückhaltend bewertet: Mandatserwägungen seien die freie Entscheidung eines jeden Abgeordneten.

Auch Chatzimarkakis unter Plagiatsverdacht

Koch-Mehrin war der Doktortitel vergangene Woche aberkannt worden, nachdem eine Kommission der Universität eine Vielzahl von Plagiaten nachgewiesen hatte. Zur Begründung hieß es, dass auf etwa 80 Seiten der Arbeit mit dem Titel "Historische Währungsunion zwischen Wirtschaft und Politik: Die Lateinische Münzunion 1865 - 1927" über 120 Stellen seien, die als Plagiate bewertet worden seien. Die Textstellen stammten aus mehr als 30 verschiedenen Publikationen, von denen Koch-Mehrin zwei Drittel nicht im Literaturverzeichnis ihrer Dissertation aufgeführt habe.

Auch Chatzimarkakis wird vorgeworfen, in seiner Doktorarbeit abgeschrieben zu haben. Die Plagiatsfahnder von "VroniPlag" wollen auf 21,58 Prozent der Seiten von Chatzimarkakis' Doktorarbeit Plagiate gefunden haben. Der Fakultätsrat der Universität Bonn will in der kommenden Woche entscheiden, ob Chatzimarkakis die Doktorarbeit gemäß der damals geltenden Promotionsordnung verfasst hat.

(apd/AFP)
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