Monrovia Der geläuterte Menschenfresser

Monrovia · Im liberianischen Bürgerkrieg soll General Butt Naked 20 000 Menschen getötet haben. Heute ist er Prediger und bittet um Vergebung.

Als Joshua Milton Blahyi elf Jahre alt war, aß er das erste Mal Menschenfleisch. Die Ältesten seines Stammes hatten ihn ausgewählt, ihr oberster Priester zu werden und dem Gott Nya-geh-a-weh zu dienen. Und dieser Gott forderte von seinem obersten Diener bei jedem Neumond ein Menschenopfer. Im Gegenzug dafür würde er Blahyi zu einem unbesiegbaren Kämpfer machen. Acht Jahre später brach in Liberia der Bürgerkrieg aus und Nya-geh-a-wehs Prophezeiung sollte sich bewahrheiten.

Als einer der brutalsten Krieger Afrikas und spiritueller Berater des damaligen Präsidenten Samuel Doe zog Joshua Milton Blahyi mit seinen Kindersoldaten in den Krieg gegen Warlord Charles Taylor. Unter seinem Kriegsnamen "General Butt Naked" (General Nacktarsch) führte Blahyi Liberia in die Katastrophe. Für den Tod von 20 000 Menschen will der Krieger, der stets nackt kämpfte, verantwortlich sein. Taylor wurde von einem Sondergerichtshof wegen Anstiftung und Beihilfe zu Kriegsverbrechen zu 50 Jahren Haft verurteilt. Blahyi jedoch wurde nie für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen.

Während er mit einem klapprigen Toyota Pick-up durch die immer noch vom Bürgerkrieg gezeichnete Hauptstadt Monrovia fährt, erzählt der 43-Jährige von seinen Treffen mit Charles Taylor. "In dem Haus dort habe ich ihn während eines Waffenstillstandes getroffen. Er hat mich in den Arm gekniffen und gefragt: "Bist Du wirklich ein Mensch aus Fleisch und Blut?". Denn General Butt Naked hatte sich in dem seit 1989 wütenden Bürgerkrieg, in dem 20 000 Kinder als Soldaten rekrutiert wurden, 250 000 Kinder, Frauen und Männer starben und eine Million Menschen vertrieben wurden, den Ruf erworben, unverwundbar zu sein. "Nya-geh-a-weh hat mich geschützt", sagt der ehemalige Kämpfer. Doch dafür forderte sein Gott vor jedem Kampf ein Menschenopfer. "Dort habe ich den Kopf eines Babys an einer Mauer zerschmettert, hier habe ich geopfert", sagt Joshua Milton Blahy und zeigt auf ein unscheinbares Gebäude.

"Häufig habe ich mir die Kinder einfach genommen, aber oft haben die Frauen aus meinem Stamm mir auch ihre eigenen Töchter und Söhne als Opfergabe gebracht. Für sie war es eine Ehre, wenn ich sie aß, so unbesiegbar wurde und für den Stamm kämpfen konnte", sagt Blahyi. Während des Krieges zählte das Kollektiv mehr als das Individuum, das vermeintliche Wohlergehen des Stammes mehr als die Mutterliebe.

"Ich habe den Kindern das Herz rausgerissen, es in Stücke gerissen und mit meinen Jungs gegessen. Dann sind wir in die Schlacht gezogen", erzählt Blahyi, und es klingt, als würde er nicht über sich selbst, sondern über die Verbrechen eines Kannibalen aus längst vergangenen Zeiten sprechen.

Fast 20 Jahre ist es her, dass der Mann, der seinen Krieg unter anderem mit dem Handel mit Blutdiamanten und Gold finanzierte, das letzte Mal ein Kind tötete. Als er sich anschließend von seinen Soldaten Wasser zum Händewaschen reichen ließ, hatte er plötzlich eine Erscheinung. "Eine mindestens drei Meter große, in gleißendes Licht gehüllte Gestalt schwebte herbei und sagte: "Tue Buße und lebe. Oder weigere Dich und stirb!" Verunsichert zog der General in die Schlacht - und erlitt schwere Verluste.

Wenige Wochen nachdem Blahyi seine Erscheinung hatte, die er später als Jesus identifizierte, suchte der liberianische Bischof John Kun Kun ihn auf. "Jesus liebt Dich. Er hat einen besseren Plan für Dein Leben. Höre auf zu morden. Bereue, und bete mit mir, dann wird Gott Dir Deine Sünden verzeihen", sagte er. Kurz darauf legte der Kriegsherr die Waffen nieder und floh nach Ghana. Vor fünf Jahren kehrte er aus dem Exil zurück und gestand vor der liberianischen Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission: "Meine Männer und ich haben 20 000 Menschen umgebracht."

Manche bezweifeln, dass Blahyi tatsächlich für den Tod von 20 000 Menschen verantwortlich ist. Fest steht jedoch: es waren viele Tote, und ihr Mörder ist für seine Taten nie verurteilt worden. Denn die Kommission, vor der Blahyi seine Kriegsverbrechen gestand, konnte keine Strafen verhängen, und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist nur für Verbrechen zuständig, die nach seiner Gründung im Jahr 2002 begangen wurden.

"Viele meiner Landsleute wollen sogar, dass ich in die Politik gehe. Liberia ist eines der wenigen Länder, in dem dies problemlos möglich wäre. Aber ich denke, was ich getan habe, disqualifiziert mich für jedes politische Amt. Und für die Kultur der Straflosigkeit, die hier immer noch herrscht, wäre es ein fatales Signal", sagt Blahyi, der bereit ist, sich für seine Verbrechen vor Gericht zu verantworten. "Würde ein weltliches Gericht mich zum Tode verurteilen, würde das zeigen, dass ich bereit bin, um der Wahrheit willen zu sterben. Würde ich zu lebenslanger Haft verurteilt, würde ich den anderen Gefängnisinsassen das Evangelium nahebringen. Würde ich freigesprochen, könnte ich überall predigen", sagt Blahiy.

So lange er auf freiem Fuß ist, predigt er, so viel er kann. Das Geld, das er dafür erhält, steckt er unter anderem in das Heim, mit dem er versucht, ehemalige Kindersoldaten, die mit und gegen ihn kämpften, wieder in die Gesellschaft zu integrieren. "Alles, was ich in meinem Leben getan habe, habe ich so gut gemacht, wie ich konnte: dem falschen Gott dienen, kämpfen, töten - und jetzt: predigen", sagt der Vater von vier Kindern. Wer ihn liebevoll mit ihnen spielen sieht, kann sich nicht vorstellen, dass dieser Mann Eltern ihre Kinder raubte, um sie zu essen, und neunjährige Jungen mit Kokain, Gewaltvideos und Massenvergewaltigungen zu mitleidslosen Tötungsmaschinen machte.

Bis ihre Mutter ihr die Wahrheit über die Vergangenheit ihres eigenen Vaters erzählte, wusste auch Janice nicht, dass ihr Papa der Mann war, von dem sie schon so viel Schlimmes gehört hatte. "Am Anfang konnte und wollte ich nicht glauben, was mein Vater getan hat. Ich bekam Angst vor ihm. Aber er ist mein Vater, wie könnte ich ihn nicht lieben?", fragt die Elfjährige. Joshua Milton Blahyi bittet auch die um Vergebung, die ihn hassen. Er tritt Frauen gegenüber, deren Männer von seinen Kindersoldaten mit Macheten zerhackt wurde. Er trifft Männer, deren schwangere Frauen von seinen Soldaten aufgeschlitzt wurden, weil sie gewettet hatten, ob im Bauch ein Junge oder ein Mädchen heranwuchs. Er spricht mit Müttern und Vätern, deren Babys er aß, deren Töchter er vergewaltigte und deren Söhne enthauptet wurden, weil Blahyis Soldaten mit den Köpfen Fußball spielen wollten.

"Ich verstehe, wenn diese Menschen wollen, dass ich getötet werde", sagt der Mann, der nach dem Ende des Krieges mehrere Mordanschläge überlebte und den Tag des Jüngsten Gerichtes dennoch nicht fürchtet. Nicht alle nehmen dem Priester, der seinen Opfern manchmal in einer Art Ablasshandel Geld für das bietet, was mit Geld nicht wiedergutgemacht werden kann, seine Reue ab. Einige nehmen seine Bitte um Vergebung wohl nur an, damit sie dem Mann, der ihr Leben zerstörte, nicht länger in die Augen schauen müssen. Für Blahyi sind die tränenreichen Treffen wie eine Reinigung. Ihm scheint es egal zu sein, warum die Menschen ihm vergeben. Ihm hilft jede Absolution, nachts besser Schlaf zu finden.

(RP)
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